Einsamen
war Barbarotti klar. Auch wenn man ein gewissenhafter Kerl war, kümmerte man sich nicht drei Monate lang um jemanden, der einen Steilhang hinuntergestürzt war. Das erschien nicht logisch. Einige der Verhöre waren außerdem erst im November und Dezember durchgeführt worden, was bedeutete, dass die Sache nicht einfach nur im Sand verlaufen war, wie es manchmal vorkam. Sandlin hatte die ganze Zeit aktiv an dem Fall gearbeitet, bis Weihnachten. Der Beschluss, die Ermittlungen einzustellen, das letzte Papier im Ordner, war auf den 9. Januar 1976 datiert.
Obendrein, registrierte Barbarotti, hatte Sandlin sämtliche Verhöre selbst durchgeführt, natürlich im Beisein eines Kollegen, wie es vorgeschrieben war, aber offensichtlich war es ihm wichtig, die Kontrolle zu behalten. Nach allem zu urteilen, überließ er nichts dem Zufall und fast nichts anderen Kollegen. Es war sicher nicht besonders spaßig gewesen, mit ihm zusammenzuarbeiten, dachte Barbarotti. Offenbar so ein altmodischer, sturer Griesgram, der nur sich selbst traute, und das nicht einmal über Gebühr.
Er lehnte sich eine Weile auf seinem Schreibtischstuhl zurück und überlegte, wie es wohl mit ihm selbst aussah. Wie viele Jahre hatte er noch bis zum Stadium des Griesgrams? Und welchen Kollegen vertraute er, wenn es wirklich darauf ankam?
Die erste Frage vertagte er. Zwei, zu dem Schluss kam er, was die Zuverlässigen betraf: Backman und Asunander. Asunander war natürlich sowohl ein Griesgram als auch ein Dickschädel – und meistens eine schlechte Karikatur dessen, wie ein Chef sich verhalten sollte –, aber er hatte eine Art Fingerspitzengefühl, das sich nur selten irrte. Das muss man ihm lassen, dachte Barbarotti. Schließlich hat er vor drei Jahren den Mann von Mousterlin gefunden. Allein das.
Und Backman? Eine Selbstverständlichkeit. Kommentare überflüssig.
Inspektor Borgsen, allgemein Sorgsen genannt aufgrund seiner düsteren Ausstrahlung, war immer pflichtbewusst und korrekt, konnte außerdem Tag und Nacht arbeiten – zumindest bis er Vater wurde –, aber ihm fehlte genau das, was Asunander hatte: Intuition. Fingerspitzengefühl.
Dafür konnte er einen entlaufenen Ladendieb in der Wüste aufspüren, wenn es nötig war.
Warum sollte es nötig sein, einen Ladendieb in der Wüste aufzuspüren? Gunnar Barbarotti seufzte, beugte sich über den Schreibtisch und widmete sich wieder Sandlins Ordnern. Ich fange am besten mit den Verhören an, dachte er, blätterte und fing an zu lesen.
Vernehmung von Germund Grooth.
Polizeirevier von Kymlinge 29.09.1975. 13.30 Uhr.
Anwesend: Kriminalinspektor Evert Sandlin, Polizeianwärter Sigvard Malmberg.
ES:Darf ich Sie bitten, Ihren Namen und Ihre Adresse anzugeben.
GG:Germund Grooth. Söderbyvägen 32 c.
ES:Danke. Also hier in Kymlinge?
GG:Ja.
ES:Ich möchte Ihnen zunächst mein herzliches Beileid aussprechen. Aber Sie verstehen sicher, dass wir die Umstände dieses tragischen Todesfalles untersuchen müssen. Sind Sie damit einverstanden?
GG:Damit bin ich einverstanden.
ES:Gut. Sie haben also in einer sogenannten Lebensgemeinschaft mit der umgekommenen Maria Winckler gelebt. Ist das richtig?
GG:Das ist richtig.
ES:Wie lange waren Sie beide schon zusammen?
GG:Vier, fünf Jahre. Das kommt darauf an, wie man es rechnet.
ES:Ja? Wie lange haben Sie unter demselben Dach ge-
lebt?
GG:Ungefähr drei Jahre.
ES:Wo arbeiten Sie?
GG:An der Kymlingeviksschule.
ES:Und Maria, wo hat sie gearbeitet?
GG:An derselben Schule.
ES:Dann sind Sie also beide Lehrer?
GG:Ja, zufällig.
ES:Was meinen Sie mit zufällig?
GG:Dass nicht geplant war, dass es ewig so bleiben sollte.
ES:Können Sie das näher erklären?
GG:Wir haben beide eine Stelle an derselben Schule bekommen. Sie hat Englisch und Französisch unterrichtet. Ich selbst Mathematik und Physik. Aber keiner von uns hat … hatte … eine Lehrerausbil-
dung.
ES:Dann wohnen Sie hier in Kymlinge erst seit kurzer Zeit?
GG:Wir sind am ersten August in den Söderbyvägen gezogen.
ES:Aha. Ich bedaure noch einmal ausdrücklich dieses tragische Ereignis, aber ich würde trotzdem gern mit Ihnen darüber reden, was an dem Sonntag eigentlich passiert ist.
GG:Das ist schon in Ordnung.
ES:Gut. Sie haben also zusammen mit ein paar guten Freunden einen Ausflug gemacht. Vielleicht können Sie mir etwas über den Hintergrund sagen?
GG:Was wollen Sie wissen?
ES:Wer dabei war. Inwieweit Sie miteinander befreundet sind. Wer auf die Idee kam.
GG:Wir waren zu
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