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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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wirken sollte.
    So etwas geschieht häufiger, als Sie denken, erklärte er. Sowohl, dass man während der Schwangerschaft ein Kind verliert als auch, dass man so reagiert, wie Sie es tun.
    Was weißt denn du davon?, dachte sie. Dass es üblich zu sein scheint, nützt mir nicht die Bohne. Wie oft bist du denn schon schwanger gewesen?
    Aber offenbar schaffte er es dann doch, sie wieder auf die richtige Bahn zu bringen. Nach und nach. Sie ging bis Mitte Juli einmal in der Woche zu ihm, und als Tomas und sie in den Urlaub nach Ibiza fuhren – nachdem Tomas seinen Dienst beendet hatte, genau rechtzeitig, bevor das Semester anfing –, hatte sie das Gefühl, etwas Neues würde beginnen.
    Als hätten diese Gedanken an Strafe, Morast und Elend endlich beschlossen, sie in Frieden zu lassen.
    »Verzeih mir«, sagte sie, als sie am ersten Abend mit einer Karaffe Sangria auf dem Balkon saßen. »Und danke, dass du es mit mir ausgehalten hast.«
    »Sag Bescheid, wenn du für einen neuen Versuch bereit bist«, erwiderte er.
    Zuerst begriff sie nicht, was er meinte, und als sie begriff, dass er von einem neuen Kind redete, bat sie ihn freundlich, aber bestimmt, den Mund zu halten.
    Sie hatte Anfang September noch zwei Klausuren zu schreiben, es gab anderes, worauf sie sich zu konzentrieren hatte, als die Fortpflanzung. Sie sagte ihm nicht, dass sie wieder angefangen hatte, die Pille zu nehmen, und er fragte auch nicht.
    Aber etwas war mit ihr passiert. Auch wenn Doktor Werngren sie im Großen und Ganzen wieder auf die Beine gebracht hatte und sie an Lussan, die sie achtzehn Wochen unter ihrem Herzen getragen hatte, zurückdenken konnte, ohne Panik zu bekommen oder zu weinen, so war sie doch eine andere als die, die sie vor einem Jahr gewesen war.
    Sie wusste es, und Tomas wusste es. Es war wie eine Last, morgens dachte sie oft daran. Früher war sie immer früh aufgewacht und regelrecht aus dem Bett gesprungen, hatte jedenfalls mit einer gewissen Leichtigkeit und Freude den neuen Tag begonnen, der da vor der Tür stand. Mit einer Art Erwartung. Was jetzt vor der Tür stand, konnte sie nicht sagen, aber es war etwas anderes. Man musste auf der Hut sein. Sich zu entspannen, sich einzubilden, das Leben wäre wie ein gedeckter Tisch, an den man sich nur setzen musste, das wäre ein Fehler. Eine naive Dummheit.
    Vorsicht ist eine Tugend, ist es das, was ich gelernt habe?, fragte sie sich. Dass es besser ist, ein wenig pessimistisch zu sein, um nicht enttäuscht zu werden?
    Im September fing Tomas mit seinem Volkswirtschaftsstudium an, sie selbst bestand die beiden noch ausstehenden Klausuren und machte mit Deutsch weiter. Mitte des Monats bekam ihr Vater, der Unteroffizier, daheim in Karlstad einen Schlaganfall, obwohl er nicht älter als siebenundfünfzig war und nie geraucht hatte – aber es war einer der leichteren Art, und ihre Mutter wie auch Schwester Barbro erklärten, dass sie nicht nach Hause zu kommen brauche. Sie hatten sich seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen, und heimlich fragte sie sich, ob erst eine Beerdigung nötig wäre, damit sie sich ins Auto setzen und die zweihundertachtzig Kilometer fahren
würde.
    Tomas’ Eltern trafen sie hingegen hin und wieder, in Sundsvall und in Uppsala. Beim letzten Mal, Anfang Juni, waren sie auf dem Weg nach Fuengirola in Spanien gewesen, wo sie sich gerade ein Haus gekauft hatten. Vielleicht würden sie das Haus in Sundsvall verkaufen und ganz hinunterziehen, das war noch nicht entschieden. Auf jeden Fall spielten sie mit dem Gedanken.
    Und während sie das taten, das Für und Wider abwägten, stand das Haus unten an der Costa del Sol lange Zeit leer. Bereit. Tomas und Gunilla reservierten es für eine Woche im Januar, zwischen Winter- und Sommersemester. Das war zwar nicht die beste Zeit für Südspanien, aber man konnte ja wohl noch etwas anderes unternehmen, als im Meer zu baden.
    Aber noch war es Herbst. Es gab Studentenfeste und Chorgesang, Prüfungen und Zechgelage; Gunilla war genau wie Tomas Mitglied in der Vereinigung der Norrländinger, und auch für diejenigen, die ein Kind verloren hatten, hatte diese Stadt der ewigen Jugend so einiges zu bieten, das war auf Dauer nicht zu leugnen. Im November beschlossen sie, zu einem Herbstessen in die Sibyllegatan einzuladen: Elchgulasch mit Pfifferlingen und eingelegten Zwiebeln. Rickard Berglund hatte inzwischen eine Freundin, Germund und Maria standen schon aus Familiengründen oben auf der Gästeliste, und Tomas hatte noch

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