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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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so einen Steilhang hinunterfallen? Das erscheint so … tollpatschig. Und sie war nicht tollpatschig.«
    »Können Sie sich noch gut an den Tag erinnern?«, fragte Backman.
    »So einigermaßen. Gewisse Sachen vergisst man nur schwer.«
    »Und Sie erinnern sich auch noch an die polizeilichen Ermittlungen danach?«
    »Teilweise. Da war ein Kommissar, der hieß Sandin, wenn ich mich nicht täusche. Er war übrigens ziemlich unsympathisch.«
    »Sandlin«, korrigierte Backman. »Ja, er wollte wohl der Sache gründlich auf den Grund gehen, und das bringt natürlich einige Unannehmlichkeiten mit sich. Erinnern Sie sich noch, dass Maria etwas gerufen haben soll, als sie fiel?«
    »Ja«, antwortete Gunilla Winckler-Rysth. »Daran erinnere ich mich.«
    »Und?«
    »Und ich bin heute noch überzeugt davon, dass sie es getan hat.«
    »Soweit ich weiß, gibt es niemanden, der das bezweifelt hat«, sagte Backman. »Aber es gab unterschiedliche Meinungen darüber, was sie gerufen hat, oder?«
    »Das stimmt«, bestätigte Gunilla Winckler-Rysth.
    »Und welcher Meinung waren Sie?«
    »Haben Sie das nicht in den Akten gelesen? Das muss da doch drinstehen.«
    »Ich habe bisher noch keine Gelegenheit gehabt, reinzuschauen«, erklärte Backman. »Das macht momentan gerade ein Kollege.«
    Gunilla Winckler-Rysth trank einen Schluck ihres Cappuccinos und wischte sich den Schaum aus den Mundwinkeln, bevor sie antwortete.
    »Ich war derselben Meinung wie Anna und Elisabeth«, sagte sie. »Wir meinten, sie hat gerufen: ›Mörder!‹«
    »Mörder?«
    »Ja. Sie haben sicher davon gehört, auch wenn Sie noch nicht die Polizeiberichte gelesen haben.«
    »Ja, natürlich«, gab Eva Backman zu. »Ich weiß, dass einige von denen, die dabei waren, meinten, sie hätte das gerufen. Aber ich war mir nicht klar darüber, dass es alle Frauen waren. Mein Kollege geht wie gesagt gerade die alten Vernehmungen durch.«
    »Ich verstehe«, sagte Gunilla Winckler-Rysth. »Andere meinten, sie hätte ›Töten‹ gerufen, aber Anna und Elisabeth bestanden darauf, dass es etwas anderes war … vielleicht ›Mörder‹. Und ich war wohl derselben Meinung.«
    »Sie sagen ›war‹«, bemerkte Backman.
    »Man kann … man kann nach fünfunddreißig Jahren nicht mehr sicher sein, was man mal gehört hat.«
    »Haben Sie Ihre Meinung geändert?«
    Gunilla Winckler-Rysth seufzte. »Eigentlich nicht.«
    Eva Backman dachte einen Moment lang nach. »Ich verstehe nicht ganz«, sagte sie dann, »einerseits sagen Sie, dass Sie glauben, Maria Winckler habe sich das Leben genommen, andererseits haben Sie sie ›Mörder!‹ rufen gehört. Wie passt das zusammen?«
    »Ich weiß, dass das irgendwie nicht zusammenpasst«, erwiderte Gunilla Winckler-Rysth und verzog dabei kurz das Gesicht. »Aber Maria war schwierig, das darf man nicht vergessen.«
    »Was meinen Sie mit schwierig?«, fragte Backman.
    »Unberechenbar«, erklärte Gunilla Winckler-Rysth, nachdem sie einige Sekunden lang überlegt hatte. »Manchmal sehr kompliziert. Aber auch sehr begabt.«
    »Kompliziert?«
    »Ja.«
    »Erklären Sie mir das genauer«, bat Backman.
    Gunilla Winckler-Rysth hob die Hände in einer halbher-zigen Geste. »Ich denke seit fünfunddreißig Jahren darüber nach«, sagte sie und wischte dann Brotkrümel vom Tisch. »Natürlich nicht die ganze Zeit, aber ab und zu. Immer mal wieder. Ich kann … ich kann mir also nicht denken, dass jemand aus der Gruppe sie tatsächlich diesen Abhang hinuntergestoßen haben könnte. Dagegen kann ich mir denken, dass sie … das klingt nicht ganz gescheit, aber man möchte ja gern, dass die Dinge irgendwie zusammenhängen … wenn Sie verstehen, was ich meine?«
    »Was ist es dagegen, was Sie sich denken können?«, fragte Backman.
    Gunilla Winckler-Rysth holte tief Luft. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das meinem Mann gegenüber nicht erwähnen«, sagte sie. »Was diese Dinge betrifft, so sind wir nicht immer einer Meinung. Aber ich kann mir tatsächlich vorstellen, dass Maria aus eigenem Willen gesprungen ist und dabei ›Mörder!‹ gerufen hat, um … ja, um einem von uns die Schuld zu geben.«
    Eva Backman schwieg eine Weile. »Ich verstehe«, sagte sie dann. »Haben Sie diese Möglichkeit Inspektor Sandlin gegenüber erwähnt, als er Sie damals vernommen hat?«
    »Vielleicht habe ich es angedeutet«, sagte Gunilla Winckler-Rysth. »So in etwa. Ich kann mich nicht mehr erinnern.«
    »Ich kann das in den Unterlagen nachsehen«, erklärte Backman. »Auf jeden

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