Einsamen
Rickard nicht. Ich kenne überhaupt keine Menschen, begreife nicht so recht, was das bedeutet.
Auf jeden Fall gibt sie nicht an, Anna die Erste, ich glaube, sie ist stark. Wortkarg und stark. Vielleicht könnte sie mir gefallen, aber ich habe nicht viel mit ihr gesprochen. Es waren nämlich noch zwei andere Paare dort, Kommilitonen von Tomas mit Anhang. Der eine Anhang war eine Französin, die erst seit gut einem Jahr in Schweden ist, und es erschien ziemlich natürlich, dass ich mich um sie kümmerte. Wir rauchten zusammen einen Joint auf dem Balkon, mussten es heimlich tun, Tomas und Gunilla sind in dieser Beziehung sehr konservativ. Das ist so verdammt bürgerlich, als wenn Alkohol so viel besser wäre als Gras. Sie heißt Nadal und kommt irgendwo aus der Nähe von Nantes, lebt in Uppsala und studiert irgendeinen Spezialzweig der Kunstgeschichte. Aber ich glaube, so schrecklich viel studiert sie nicht, ihre Eltern haben ein Weinschloss im Loiretal. Sie hat mich für den nächsten Herbst zur Weinlese eingeladen, ich kann gar nicht sagen, ob ich sie mochte, aber es war toll, einen ganzen Abend Französisch sprechen zu können.
Wohingegen Germund es nicht so toll hatte. Er trank zu viel und fing schon früh Streit mit einem der Volkswirte an, nicht mit Nadals Typen, sondern mit dem anderen. Er hieß Lars-
Inge und war wirklich ein unerträgliches Arschloch, in gewisser Weise kann ich Germund gut verstehen. Aber er hätte das viel besser händeln können. Man muss keine Energie darauf verschwenden, so einen wie Lars-Inge einzuschüchtern.
Ich merke, dass ich Germund nicht hundertprozentig kenne. Also nicht einmal ihn. Wenn wir nur zu zweit sind, dann wissen wir immer, was wir voneinander zu halten haben, nur in Gesellschaft anderer habe ich manchmal das Gefühl, dass er mir fremd ist. Was ja eigentlich nur passiert, wenn Tomas und Gunilla uns einladen. Germund und ich, wir verkehren fast nie mit anderen Menschen. Vielleicht wird das anders, wenn wir zusammenziehen, ich weiß es nicht. Vielleicht ist es schwer, die Balance zu halten, dieses gespannte Seil zwischen der reinen Mathematik und dem Vögeln. Ich weiß nicht, ob es funktionieren wird.
Lars-Inge redete mit lauter Stimme, er stammt hundertprozentig fünfzehn Generationen weit von Politikern und Pfarrern ab. Das meiste lehnte er ab: Neger, Kommunisten, Hippies, Popmusik, Dänen, Finnen, Gläubige, Geisteswissenschaften und Leute, die nichts kapierten. Zumindest nach vier Glas Wein, vorher hockte er die meiste Zeit da und hielt schüchtern die Schnauze. Ich nehme an, dass Tomas ihn vor diesem Abend noch nie betrunken erlebt hat, denn sonst wäre nur schwer zu verstehen, warum zum Teufel er ihn eingeladen
hat.
Nach einer halben Stunde am Tisch fragte Germund Lars-Inges Mädchen, eine vollbusige Tante namens Berit mit dicken Schichten karmesinroten Lippenstifts, wo zum Teufel sie so eine selten uncharmante Ratte wie Lars-Inge gefunden habe. Da sie glaubte, er würde scherzen, was zum Teufel hätte sie sonst glauben sollen, sagte sie, dass er ein uneheliches Kind von Hitler und einer Schimpansin sei und dass er einem leid tun könne, weil er so eine schlimme Kindheit gehabt hatte.
Vielleicht glaubte sie auch gar nicht, dass Germund einen Scherz machte, man muss ja nicht unbedingt dumm sein, nur weil man Busen und Lippenstift im Überfluss hat. Lars-Inge schien keine Lust zu haben, sich mit seiner Braut zu streiten, vielleicht hatte er sie auch nur für diesen Abend aufgerissen und wollte später mit ihr noch ordentlich vögeln, jedenfalls beschloss er stattdessen, Germund zu attackieren.
Willst du eins in die Fresse oder soll ich dich totargumentieren, du Drecksack?, fragte er, und dann saßen sie eine ganze Weile da und redeten Blech, wie es betrunkene Männchen so an sich haben. Zu dem Zeitpunkt, vielleicht so nach einer Viertelstunde, gingen Nadal und ich raus auf den Balkon, um einen Joint zu rauchen. Es war ihr Vorschlag gewesen, ich rauche nie Gras aus eigenem Antrieb. Als wir wieder hereinkamen, waren Germund und Tomas hinausgegangen, und die Stimmung war gedrückt. Lars-Inge saß zurückgelehnt da und paffte eine Zigarre. Anna und Rickard schienen zu überlegen, ob sie wohl nach Hause gehen sollten, obwohl es gerade elf Uhr war, auf jeden Fall hockten sie flüsternd zusammen. Gunilla und Busen-Berit waren in der Küche und kochten Kaffee, und Nadals Freund, Bengan, trieb sich vor dem Bücherregal herum, las mit schrägem Kopf die Büchertitel und sah
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