Einsamen
Nachhinein war es natürlich sowieso gleich. Sie erwartete ein Kind. Es war noch kein Jahr vergangen, seit sie Lussan verloren hatte.
II
22
K riminalinspektorin Backmans Wohnung lag ganz oben im Haus, aber sie schenkte der Fahrstuhltür nicht einmal einen Blick. Wie üblich nahm sie die Treppe, und hätte sie es nicht getan, hätte sie im vierten Stock keinen Geistesblitz gehabt.
Sie hatte Alf Ringgren schon einige Male zuvor getroffen, er war fast zur selben Zeit eingezogen wie sie, und es kam vor, dass sie stehen blieben und einige Worte miteinander wechselten, wenn ihre Wege sich kreuzten. Über das Wetter oder das Leben im Allgemeinen. Oder den Vermieter, die Genossenschaft Kymlinge Härliga Hem. Alf Ringgren war in den Sechzigern, ein ruhiger, etwas erschöpfter Mann, er war aus dem gleichen Grund wie sie hierhergezogen: Scheidung nach einer lang andauernden Trennung. So hatte er es ausgedrückt, aber sie waren nie näher in die Details gegangen. Dazu hatte es keinen Anlass ge-
geben.
Der Grund, dass sie nun vor seiner Tür stehen blieb, war auch nicht in den Scheidungen zu suchen, sein Arbeitsplatz war der entscheidende Faktor.
Arbeitete er nicht in der Kymlingeviksschule?
Sie überlegte. Und hatte er nicht gesagt, dass er schon seit der frühen Steinzeit dort war?
Wenn man gut sechzig ist, wie sie vermutete, dann konnte das bedeuten, dass er seine Stelle an der Schule Mitte der Siebziger angetreten hatte. Mit ein wenig Glück war er also bereits in dem Herbst, in dem Maria Winckler draußen in der Gänseschlucht starb, im Kollegium gewesen. 1975.
Und hierauf zielte der Geistesblitz. Bevor sie Zweifel überkamen, hatte sie schon auf den Klingelknopf gedrückt.
»Stimmt«, sagte er und lächelte entschuldigend. »Genau genommen habe ich im Herbst 1973 dort angefangen. Siebenunddreißig Jahre an derselben Schule, was sagt man dazu? Sicher medaillenverdächtig, aber es könnte auf solche wie uns auch eine Jagdprämie ausgesetzt werden. Wie dem auch sei, in einem Jahr habe ich die Ziellinie erreicht.«
»Ich habe nur zwei Lehrerinnen in meinem Bekanntenkreis«, erklärte Eva Backman. »Eigentlich sollte ich sagen hatte , denn beide haben aufgehört, bevor sie fünfundvierzig waren.«
»So geht es vielen«, gab Alf Ringgren zu. »Aber bedenken Sie dabei, dass das selten an den Schülern liegt. Es sind andere Variablen, die schwer zu ertragen sind.«
Er verließ die matt glänzende Espressomaschine – nicht das gleiche Fabrikat wie bei Winckler-Rysths, aber Eva Backman war sich sicher, dass auch diese mehr als zehntausend gekostet hatte – und stellte zwei Tassen Espresso auf den Tisch. Dazu eine Schachtel After Eight. Wäre ich eine Stunde später gekommen, hätte er sicher auch noch zwei Gläser hingestellt, dachte sie. Es umgab ihn ein abgenutzter Hauch von Dekadenz.
»Außerdem ist es für einen Mann leichter – leider«, stellte er fest. »Zumindest wenn man sich traut, es auszunutzen.«
»Das sagen meine Kollegen auch immer«, bestätigte Eva Backman. »Aber vielleicht können wir diese Diskussion ein andermal fortsetzen?«
»Wie Sie wollen«, sagte Alf Ringgren lächelnd. »Jetzt steht also das Herbstsemester 1975 auf dem Programm, oder?«
»Genau«, sagte Backman. »Diese Kollegen von Ihnen, Maria Winckler und Germund Grooth, erinnern Sie sich an die beiden?«
Er nickte. »Aber nur vage. Sie ist ja gestorben, da gab es ein Unglück draußen bei Rönninge oder wo immer es war. Sie ist einen Steilhang hinuntergestürzt und hat sich das Genick gebrochen. War es nicht so?«
»Ungefähr so«, sagte Backman. »Welche Fächer unterrichten Sie?«
»Schwedisch und Geschichte«, sagte Alf Ringgren. »In erster Linie Schwedisch. Habe auch ein bisschen in Gemeinschaftskunde und Geographie herumgepfuscht. Ich glaube, Maria hatte Sprachen … und Grooth, ja, der war wohl ein Naturwissenschaftler, zumindest hatten wir, was den Unterricht betraf, keine Gemeinsamkeiten.«
»Hatten Sie irgendeinen Eindruck von ihm?«, fragte Backman.
»Warum fragen Sie?«
»Darf ich meine Fragen erst stellen?«, schlug Backman vor. »Vielleicht erkläre ich es Ihnen dann später.«
»Vielleicht?«
»Jawohl«, bestätigte Eva Backman lächelnd. Es hatte auch gewisse Vorteile, eine Frau zu sein. Und wenn jemand ausnahmsweise mal nicht schon alles aus den Zeitungen und dem Fernsehen erfahren hatte.
»Okay«, sagte Alf Ringgren. »Ich weiß nicht so recht, was ich sagen soll. Sie ist gestorben, und er hat nur noch das
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