Einsamen
Barbarotti. »Warum sollten wir nicht darüber reden?«
»Weil es dir Probleme bereitet.«
Er leerte sein Glas. »Es geht um eine Mordermittlung«, erklärte er. »Da muss man einiges wegstecken können.«
Marianne saß schweigend da und betrachtete ihn eine halbe Minute lang. Es fiel ihm schwer, ihrem Blick standzuhalten. Ich bin ein Idiot, dachte er erneut. Ich bin ein primitives Orang-Utan-Männchen.
»Wir waren nicht einmal ein Jahr zusammen«, sagte sie schließlich. »Oder besser gesagt, so viel Zeit war zwischen dem ersten und dem letzten Mal. Er wohnte in Lund, ich in Helsingborg. Wir haben uns im Grand in Lund kennengelernt, als ich mit einer Freundin aus war. Insgesamt waren es wohl … auf jeden Fall nicht mehr als zehn Mal.«
»Du hast zehn Mal mit ihm geschlafen?«
»Ja«, sagte Marianne. »Er war ein guter Liebhaber. Ansonsten machte er nicht viel her. Er war nicht witzig. Depressiv, wie gesagt. Aber in gewisser Weise doch elegant. Wenn man nur auf Sex aus war, war es ganz erträglich, aber das Leben hat ja mehr Facetten als diese. Oder was meinst du, mein Prinz?«
Sie beugte sich über den Tisch und legte ihre Hand auf seine. Barbarotti schloss die Augen.
»Verzeih mir«, sagte sie. »Obwohl ich eigentlich gar nicht weiß, was du mir verzeihen sollst.«
»Ich auch nicht«, sagte Barbarotti und goss sich noch Wein ins Glas. »Möchtest du auch?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Übrigens glaube ich …«
»Ja?«
»Ich weiß nicht, aber es würde mich nicht wundern, wenn er noch andere Frauen während unserer Beziehung gehabt hätte. Aber ich habe nie nachgefragt.«
»Ihr habt euch nur getroffen und gevögelt?«
»Im Prinzip ja. Aber wenn du so weitermachst, dann gehe ich schlafen. Du und ich, wir waren beide über vierzig, als wir uns kennengelernt haben, keiner von uns war noch unschuldig. Wir haben fünf Kinder mit anderen Menschen.«
Barbarotti sagte nichts darauf. Er trank einen Schluck und versuchte seine Gedanken zu ordnen.
»Was glaubst du, warum er ermordet worden ist?«, fragte Marianne.
»Weil …«, setzte Barbarotti an, fand aber keine gute Fortsetzung. »Ich weiß es nicht«, sagte er stattdessen und seufzte schwer. »Nein, es gibt wohl nichts, was darauf hindeutet, dass er ermordet worden ist. Abgesehen von dieser Verbindung natürlich. Dass seine Freundin vor fünfunddreißig Jahren an genau derselben Stelle gestorben ist. Obwohl Backman …«
»Ja?«
»Backman beharrt darauf, dass es psychologisch zusammenhängt. Dass Maria Winckler, diese Freundin, sich vielleicht damals das Leben genommen hat … oder gefallen ist, das kann uns erst einmal egal sein … und dass dein depressiver Physiker jetzt mit ihr auf irgendeine Art und Weise wieder vereint sein wollte. In einer anderen Welt, im Land der Dämmerung, was weiß ich … ja, also Selbstmord.«
»Das passt nicht«, sagte Marianne.
»Was?«, fragte Barbarotti. »Was passt nicht?«
Ihr Blick wechselte für eine Sekunde die Schärfe. Von Anwesenheit zu Abwesenheit, wie es aussah. Von jetzt zu damals. »Er war nicht der Typ«, sagte sie. »Wenn man glaubt, man könnte nach dem Tod miteinander wieder vereint werden, dann muss man eine Art Glauben haben. Germund hatte keinen Glauben. In dieser Beziehung fehlte ihm absolut alles.«
»Wie kannst du das wissen? Dann hast du ihn doch etwas besser kennengelernt?«
Sie zeigte ein Lächeln, bereute es aber gleich. »Man merkt ziemlich schnell, ob Leute eine geistige Dimension haben oder nicht. Zumindest ich merke das.«
»Klingt ein bisschen überheblich«, sagte Barbarotti. »Wenn du entschuldigst. Ein wenig abgehoben.«
»Man kann nichts für das, was man sieht«, sagte Marianne. »Aber da war etwas anderes, was er mit sich herumgeschleppt hat, ich meine mich zu erinnern, dass er das sogar einmal zugegeben hat. Eine Art Schuld, obwohl das ja viele haben. Er war absolut nicht überheblich, im Gegenteil, trübsinnig und zurückgezogen … in gewisser Weise ein Gentleman, aber zum Schluss wurde es zu anstrengend. Er war auch der Meinung. Er wusste, dass er eine traurige Figur abgab, er konnte selbst nicht verstehen, wieso ich mich entschieden hatte, mit ihm zusammen zu sein.«
»Das tue ich auch nicht«, sagte Barbarotti. »Er muss ja ein ganzes Stück älter gewesen sein als du, oder?«
»Ich glaube, fünfzehn Jahre«, bestätigte Marianne. »Aber das Alter war nicht das Problem. Es war die Schwermut. Ich habe ihn ja nie für längere Zeit gesehen, aber es war
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