Einsamen
Sie ist deine Schwester, nicht meine.«
»Und was bedeutet das?«
»Was?«
»Dass sie meine Schwester ist und nicht deine?«
Gunilla seufzte. »Entschuldige. Können wir das hier jetzt nicht einfach beenden, Tomas? Sonst kriegen wir nur schlechte Laune. Das war gestern ein Scheißabend, manchmal ist es einfach so.«
Er stand auf. »Okay. Wollen wir lieber abwaschen? Ich glaube, wir haben nicht einen sauberen Teelöffel im Haus!«
Später dachte sie darüber nach. Den ganzen Winter über tauchte es in ihren Gedanken auf, nicht besonders häufig, aber doch ab und zu.
Sowohl das, was Tomas über Germund erzählt hatte – der Selbstmordabend und die vielen Mädchen, die er gehabt hatte –, und dieses unangenehme Gespräch in der Küche. Zu Anfang des Gesprächs war sie wütend gewesen, aber mehrere Male hatte sie dann das Gefühl gehabt, sie würden einander wiederfinden. Trotzdem hatte es nicht geklappt. Sie waren nicht so weit vorgedrungen. Sie hatten zwei Stunden lang abgewaschen und sauber gemacht und die ganze Zeit fast kein Wort miteinander gewechselt. Sie nahm an, dass es an dem lag, was sie über Maria gesagt hatte. Dass die irgendwie in Tomas’ Verantwortung lag, nicht in ihrer. Er hatte das wie eine Anklage aufgefasst, als wollte sie ihn auf irgendeine Art und Weise dafür verantwortlich machen, was die beiden sich ausdachten, Germund und Maria. Er fasste es zwar nie in Worte, aber genau dieses Schweigen, dass er es nicht einmal für wert ansah, darüber zu reden, dass er es für sinnlos hielt, auch nur zu versuchen, es ihr zu erklären, ja, vielleicht war das gerade am schwersten zu akzeptieren.
Dass er sie außen vor ließ. Sie wusste nicht, wie er wirklich über all das dachte, aber das lag ja daran, dass er nie eine Tür oder auch nur ein Fenster öffnete, durch das sie hätte hineinsehen können. In seine privaten Räume.
Männer, dachte sie. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Scheißspruch.
Aber sie hatte ihm Vorwürfe gemacht, da hatte er ganz Recht. Das konnte sie nicht leugnen.
Mitte Januar reisten sie wie geplant in das Haus seiner Eltern nach Spanien. Am Tag vor ihrer Abfahrt hatte sie mit Rickard Berglund telefoniert, zwar nur ganz kurz, aber es war ihm dennoch gelungen, anzubringen, dass Spanien nun einmal eine faschistische Diktatur sei, aber klar war natürlich, dass man die Chance nutzte, wenn man kostenlos eine Woche in der Sonne verbringen konnte. Ibiza im August hatte sicher Lust auf mehr gemacht?
Es war nicht einfach, so einen Kommentar zu vergessen – auch wenn Rickard ihn etwas ironisch angebracht hatte –, und mit der Sonne war auch nicht viel los, wie sich herausstellte. Das Wetter war die ganze Woche über schlecht, regnerisch und kalt; an zwei Abenden fuhren sie mit dem Zug nach Malaga, das war das Einzige, was einigermaßen erträglich war. Sie mieteten sich für einen Tag einen Wagen, besuchten eine Grotte in Nerja, aber die machte ihr Angst. Tomas seinerseits gefiel sie, aber ihr schien sie einer Art Riesengrab zu ähneln, einer Kathedrale unter der Erde. Und eine unterirdische Kathedrale konnte ja wohl nur für eine ganz bestimmte Art von Machthabern gebaut worden sein. Für einen Fürsten der Finsternis. Das erklärte sie Tomas jedenfalls, als sie hinterher wieder im Wagen saßen, worauf er nur schnaubte.
Fürst der Finsternis? Was redest du denn da, Gunilla?
Am Tag vor ihrer Heimreise lag sie den ganzen Nachmittag im Bett und weinte im Takt mit dem Regen. Sie hatte Tomas gesagt, sie habe Kopfschmerzen und müsse sich ausruhen; vermutlich hatte er ihr nicht geglaubt, es aber als eine bequeme Lösung angesehen. Die Wahrheit ist ein Kompromiss zwischen zwei Menschen, die nicht streiten wollen. Er ließ sie dort liegen und schluchzen, ging allein in die Stadt, und als er gegen neun Uhr abends zurückkam, hatte er sicher mindestens sieben Glas Wein getrunken.
Er wollte sie natürlich lieben, sie ließ es zu, und als es vorbei und er eingeschlafen war, dachte sie, dass ihre Beziehung sich an einer Wegkreuzung befand. In dieser Form konnten sie nicht weitermachen. Das war kein würdiges Leben.
Aber als sie bereits drei Wochen zurück in Uppsala waren und das Sommersemester langsam begann, da wurde ihr klar, dass sie wieder schwanger war. An diesem letzten Abend in Fuengirola war sie es geworden. Sie konnte nicht einmal selbst sagen, ob sie ihre Pillen mit Absicht daheim im Badezimmerschrank gelassen oder ob sie sie einfach nur vergessen hatte.
Aber jetzt im
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