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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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würden wir uns zum ersten Mal sehen.
    »Hallo, Mädel«, kann Germund dann sagen. »Wie heißt du, und wie bist du hier hereingekommen?«
    Ich antworte dann meistens auf Französisch. Sage, dass ich einem Fremden meinen Namen nicht verrate, und wenn er nicht augenblicklich aus meiner Wohnung verschwindet, werde ich die Bullen rufen. Les flics.
    Ja, es ist tatsächlich einfach, sich mit Germund wieder auf Anfang zu stellen, ich weiß nicht, ob andere Menschen das verstehen, aber das ist ein außerordentlicher Vorteil. Er wird außerdem schnell erregt, wenn ich Französisch rede, was auch nicht schlecht ist. Unser Sex ist so gut, dass wir eigentlich einen Ratgeber schreiben sollten.
    Sie haben kirchlich geheiratet, Rickard und Anna, aber nur in einer Seitenkapelle des Doms. Ich habe keine Ahnung, warum sie ausgerechnet jetzt zugeschlagen haben, vielleicht ist sie ja schwanger, aber das wird sich wohl während der Reise zeigen. Anschließend gab es ein Essen im Skaris. Die Üblichen plus die engste Familie. Rickards Mutter, Annas Eltern und Brüder. Eine ziemlich gemischte Schar, wenn ich ehrlich bin, aber nach zwei Stunden war es überstanden, und es gab keine blutigen Köpfe, wie Germund es in seiner Dankesrede zusammenfasste. Niemand hatte ihn gebeten, eine Rede zu halten, aber er war leicht betrunken und offenbar der Meinung, irgendwie zu dem Fest beitragen zu müssen. Vor allem Annas Vater sah wenig begeistert aus.
    Gunilla hat es nach dieser Totgeburt im Herbst schwer gehabt. Sie war einige Monate in Ulleråker, ist aber seit Januar wieder zu Hause. Aber sie hat überhaupt nicht studiert, ist nur zu Hause wie so eine Art trübsinniger Zombie herumgelaufen, ich habe sogar mal versucht, mir ihr zu reden, obwohl es mir nicht liegt, Leuten auf diese Art und Weise zu helfen. Aber dass sie schwer getroffen ist, daran besteht kein Zweifel, wir werden sehen, wie sie sich während der Reise verhalten wird. Wenn ich irgendwelche Bedenken habe, dann in Bezug auf Gunilla, sie scheint instabiler zu sein, als erlaubt ist, und es ist wahrscheinlich eine etwas dickere Haut nötig, wenn man mit fünf anderen Menschen fünf Wochen lang in einem Bus leben soll. Und dazu noch in diversen sozialistischen Paradiesen.
    Germund hat letzte Nacht wieder so einen merkwürdigen Albtraum gehabt. Ich weiß nicht, worum es dabei eigentlich ging, da er nicht darüber reden möchte. Ich bin davon aufgewacht, dass er im Bett saß und irgendwas geplappert hat, zuerst dachte ich, es wäre eine physikalische Formel, es klang total unbegreiflich, und es dauerte eine Weile, bis ich begriffen habe, dass er im Schlaf gesprochen hat. Plötzlich stand er auf, ging durchs Zimmer und stieß mit dem Kopf gegen den Türpfosten. Mehrere Male, während er weiter diesen merkwürdigen Vers vor sich hinbrabbelte. Dann stand er einfach nur da, mitten im Raum, mit herabbaumelnden Armen, aber immer noch seine Litanei vor sich hinleiernd, und obwohl er mehr oder weniger immer die gleichen Worte wiederholte, konnte ich keine Bedeutung heraushören, nicht einmal im Ansatz. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er überhaupt Schwedisch gesprochen hat. Er stand vielleicht eine halbe Minute so da, dann fiel er zu Boden und fing an zu jammern. Ich finde keinen besseren Ausdruck als jammern, und nachdem auch das eine Weile so weiterging, beschloss ich, dass es wohl an der Zeit war, ihn aufzuwecken. Zuerst rief ich seinen Namen und fasste ihn an, aber das nützte nichts, dann ging ich in die Küche, holte ein Glas Wasser und kippte es ihm über den Kopf.
    Er wachte sofort auf, starrte mich an und fragte, welches Jahr wir haben.
    Ja, er fragte tatsächlich, welches Jahr wir haben. Zweimal, beim zweiten Mal mit lauter Stimme und ein wenig verärgert. Einen Moment lang fürchtete ich, er wäre verrückt geworden, irgendetwas in seinem Kopf könnte kaputtgegangen sein, vielleicht durch das Wasser, was weiß ich, wie bei einem Felsen, den man mit Hitze und anschließender Kälte spaltet, aber dann blinzelte er ein paar Mal, räusperte sich und ging auf die Toilette.
    Dort blieb er zehn Minuten, kam zurück, entschuldigte sich und erklärte, er habe einen Albtraum gehabt. Ich fragte ihn, ob er sich daran erinnern könne, dass er im Bett gesessen und geredet habe und dann aufgestanden war und den Kopf gegen den Türpfosten geschlagen hatte, aber er sagte, er könne sich an nichts davon erinnern. Er habe während eines Kriegs in einem Verhörraum gesessen, behauptete er, und das

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