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Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Titel: Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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erzählte ihr nicht alles, denn vieles wollte sie gar nicht
genau wissen. Hätte sie ihn aber je danach gefragt, hätte er bereitwillig
Auskunft gegeben, schon allein aus Stolz, weil er sein Leben für beispielhaft
durchorganisiert hielt. Thomas und Sarah Stern schliefen nicht mehr miteinander,
gingen sonst aber liebevoll miteinander um. Sarah war an Sex nicht weiter
interessiert und zeigte Verständnis, wenn ihr Gatte sich das, was er für nötig
hielt, woanders besorgte. Sie wußte, daß sie ihm vertrauen konnte, daß sie mit
Thomas alt werden würde, auch wenn manche von Sarahs Freundinnen ihr hin und
wieder rieten, in solchen Dingen bloß nicht zu naiv und sorglos zu sein. Sie
wußte, daß es Carla gab, daß sie gut aussah, er hatte ihr mal ein Foto gezeigt.
Daß sie gut im Bett war, hatte er vage angedeutet, ebenso, daß sie nett war und
keinen Exklusivanspruch auf ihn geltend machen würde.
    Manchmal fragte sich Sarah zwar, worum es jener Carla bei der
Liaison denn ging, ob nur um Sex oder um ein schnelles Fortkommen im Beruf –
aber es konnte ihr im Grunde egal sein. Diese Frau gab ihm etwas, das er
brauchte, und damit war das okay.
    Thomas litt, Sarah durchschaute ihn besser als er sich selbst, an
einer typischen, durch Erotik notdürftig übertünchten Midlife-Crisis. Insgeheim
glaubte er, beruflich nicht dort gelandet zu sein, wo sein Herz ihn
ursprünglich hinbestimmt hatte, glaubte, den Weg des geringsten Widerstands
gegangen zu sein und seine Grenzen nicht genügend ausgelotet zu haben. Alberne
Wohlstandswehwehchen. Sarah war einigermaßen zufrieden mit sich. Sowohl sie
selbst wie auch Thomas hatten sich relativ früh gegen Kinder entschieden, was
Sarah in seltenen Momenten bereute, meistens aber nicht, dann war sie froh um
ihr Leben in versorgtem Müßiggang. Denn sie konnte sich ganz gut mit sich selbst
beschäftigen.
    »Ich habe heute einem Menschen meine Faust ins Gesicht
geschlagen.«
    »Wie bitte?«
    »Es war enorme Überwindung nötig – aber es war nötig. Sonst hätten
die mich in die Mangel genommen. Ein halbes Dutzend junger Türken. Ich bin da
durch wie Moses durchs Rote Meer, und danach, ich kann dir sagen, als der Zug
anfuhr – da gabs ein Feuerwerk im Gehirn, einen Triumphmarsch, fast faschistoid
in seinem Pathos.«
    Thomas mußte nun die Geschichte ganz genau erzählen, aber irgendwie
erzählte er sie so, daß Sarah sich nicht ebenso wie er dafür begeistern konnte.
    »Du hast extrem – aber wirklich extrem – viel Glück gehabt. Mach das
bitte nicht noch mal!«
    »Ja. Du hast recht. Aber weißt du, wie soll ich sagen – ich hab, wie
du richtig sagst, Glück gehabt. Und Glück empfunden. Das war groß. Das Glück
resultierte daraus, einfach was getan zu haben, resolut getan zu haben, ohne Wenn
und Aber, und damit davongekommen zu sein. Ich war ein glücklicher
Neandertaler, als ich zuschlug. Ich hab keine Schubladen bedient, keine
Rollenmuster, ich war nicht ich selbst, ich war jemand, der früher, ganz früher
einmal in mir gewohnt hat. Ich fühlte mich wie zwanzig, mit allen
Möglichkeiten, die einem da noch offenstehen. Unbeschreiblich. Danach wurde ich
fast traurig.«
    Sarah nahm Thomas in die Arme. Sie dachte von sich selbst, daß sie
ihr Alter (sie war vierzig) und alle damit zu bewältigenden Eitelkeiten langsam
in den Griff bekam. Wenn auch nur mit Hilfe eines Gewehrs. Davon Thomas zu
erzählen nahm sie sich oft vor. Jetzt, ganz klar, wäre ein guter Moment dafür
gewesen, aber sie ließ ihn ungenutzt verstreichen und fragte: »Du würdest doch
nicht ernsthaft noch mal zwanzig sein wollen?«
    »Nein, Gott bewahre, aber … ach … vierunddreißig wär ich
schon gern wieder.«
    Sarah lächelte. Im selben Augenblick durchzuckte sie ein Anfall fast
panischer Furcht. Sie malte sich aus, was geschehen wäre, hätten die
Jugendlichen zurückgeschlagen. Und so, als sei die Sache längst noch nicht
abgehakt und ausgestanden, begann sie bei der Vorstellung zu zittern. Sarah
kaschierte ihre Gefühle mit der dahingeplauderten Frage, ob Carla ihn auch gut
behandle.
    »Wie meinst du das?«
    »Ach, vergiß es.«
    »Nein, sag schon!«
    »Naja, ich gönn sie dir, aber …«
    »Aber was?«
    »Ich hab Angst, daß du dich ihr gegenüber ständig beweisen mußt. Sie
ist ein Dutzend Jahre jünger als du, ist Kickboxerin, durchtrainiert und …
und ich glaube, daß du dich in Berlin nicht so waghalsig verhalten hättest. So
blödsinnig. Verantwortungslos.«
    »Carla war gar nicht

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