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Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Titel: Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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dabei.«
    »Das spielt keine Rolle! Das macht es nur noch schlimmer!«
    Thomas Stern sah seiner Frau in die Augen. Sie hatte recht. Er mußte
aufpassen, daß er die stillschweigenden Verträge, die zwischen ihnen
existierten, nicht verletzte. Selbstverständlich war er stets bestrebt, auf
Carla Eindruck zu machen, er wußte selber, wie leicht dergleichen gockelhaft
und peinlich werden konnte. Er hatte sich in Gefahr begeben, ohne auf Sarah
Rücksicht zu nehmen. Andererseits – wer konnte wissen, was geschehen wäre, wenn
er sich anders entschieden hätte? So viele Konjunktive.
    »Gut. Ich sehs ein. Tut mir leid.«
    »Du hättest sofort nach der Polizei rufen müssen! Auf dem
Bahnhofsvorplatz sind die doch in nullkommanix vor Ort! Aber das hätte sich ja
mit deinem Stolz nicht vertragen.«
    »Ja. Ja. Verzeih mir.«
    Sarah nickte und drückte mit einer winzigen Handbewegung aus, daß
die Angelegenheit damit vom Tisch war. Für solche Gesten liebte Thomas Stern
seine Frau noch etwas mehr, als er es ohnehin schon tat.
    Swentja traf Mahmud in einem Café am Südstern. Mahmud schlug
vor, zusammen auf die Toilette zu gehen, was Swentja entrüstet ablehnte. Mahmud
warf ihr vor, an dem Deal nicht ernsthaft interessiert zu sein, er wolle nicht
länger seine Zeit mit ihr verplempern, nannte sie verklemmt und seiner nicht
würdig. Es gebe, blaffte er, viel hübschere Mädchen, die sich nicht derart
zieren würden.
    Swentja blieb die Spucke weg. Niemand hatte sie je in ähnlicher
Weise beleidigt. Und doch, seltsam genug, fühlte sie sich von dem jungen Araber
gerade deshalb angezogen. Was sie natürlich nicht zugeben konnte. Stattdessen
nannte sie Mahmud einen Schlappschwanz, einen stillosen kleinen Stinkekanaken,
woraufhin der wutentbrannt das Lokal verließ und sogar vergaß, seinen Tee zu
bezahlen. Swentja überlegte, die Zeche zu prellen, aber schließlich fehlte ihr
der Mut dazu. Sie bezahlte Mahmuds Tee und ging nach Hause. Johnny hatte ihr
eine neue SMS geschrieben.
    ICH LIEBE DICH. JESUS LIEBT DICH AUCH.
    Sie schrieb zurück: WILL ER EINEN DREIER MACHEN?
    Spätestens, als er diesen Satz las, wußte Johnny mit
endgültiger Gewißheit, daß seine einstmals künftige Frau den Dämon der Hölle
auf der Schulter sitzen hatte. Er war versucht, sich seinen Eltern
anzuvertrauen, so unaussprechlich waren seine Qualen geworden. Die Eltern
hätten Verständnis gezeigt, ihm im Endeffekt aber nicht geholfen, sie hätten
ihm sicher geraten, sich in ein oder zwei Jahren eine Freundin aus der eigenen
Gemeinde zu suchen. Darauf würde alles hinauslaufen. Aber galt es nicht
vielmehr, Gott zu jenen zu tragen, die seiner bedurften?

16
    Gott zu jenen tragen, die ihn ablehnten, war aber auch
aufdringlich.
    Mahmud las im Internet die Haßpredigt eines syrischen Imams, der
kaum verklausuliert dazu aufforderte, alle Nichtgläubigen zu töten, denn sie
seien Allah ungefällig und ein Schmerz im Auge. Er wandte sich an Faisal,
seinen vier Jahre älteren Bruder, fragte den, wieso Allah eigentlich soviele
Ungläubige erschaffen habe, die man erst töten müsse. Da hätte sich Allah ja
wohl auch einen Arbeitsschritt ersparen können, wenn er gleich nur Gläubige in
die Welt gesetzt hätte. Und wie könne etwas, das Allah offensichtlich
zugelassen habe, ihm denn ein Schmerz im Auge sein? Wer wisse das so genau?
    Faisal meinte, das sei zwar vordergründig ein interessanter Gedanke,
aber Mahmud sei zu unreif, das innere Wesen des Islam zu verstehen. Allah gehe
nie den einfachen Weg, ihm sei daran gelegen, die Menschen zu prüfen, vor
Entscheidungen zu stellen, auf daß sie sich aus ganzem Herzen heraus, in
bewußter Hinwendung zur wahren Lehre über die gewöhnlichen Kreaturen erhöben
und eine Ekstase verspürten, eine Herzenswärme. Faisal erklärte, daß Allah vor
den Erfolg den Einsatz gestellt hatte, daß dieses Leben kein Honigschlecken,
sondern eine Prüfung sei, eine Bewährungsprobe, ein Kampf. Ansonsten es ja eine
recht langweilige Angelegenheit wäre und dem Individuum nur die Rolle eines
zufrieden blökenden Schafes zukäme. Allah wolle aber keine dummen Schafe, frei
von Verantwortung.
    »Allah will, daß du handelst. Position beziehst. Dich bewußt und in
eigener Entscheidung ein für allemal abgrenzt von allem Übel, das dich umgibt.«
    Faisal, obwohl er Vollbart und Turban trug, war nicht etwa der Typ,
der Selbstmordattentate guthieß. An die Legende von den zweiundsiebzig
Jungfrauen, die man danach besitzen durfte, konnten nur

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