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Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Titel: Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Vollidioten glauben.
Blut zu vergießen war nicht Allahs Weg. Menschen zu töten, nur weil sie falsch
erzogen waren, kam natürlich nicht in Frage, egal, was dieser syrische Spinner
da äußerte. Faisal konnte es nicht leiden, wenn sein kleiner Bruder ihn mit
derlei Extremistenkram aufzog, und wenn es auch ein paar Passagen im Koran gab,
die gewaltbereit klangen, war deren Wortlaut eben dem Geist ihrer
Entstehungszeit geschuldet, solche Sätze mußten, und da war Faisal fast
fortschrittlich, neu übertragen oder zeitgemäß interpretiert werden. Seiner
Ansicht nach mußte der Islam seinen Weg sanft, aber bestimmt gehen, hilfreich
und erhellend, gradewegs durch die Herzen der Menschen. Für ihn war klar, daß
am Ende der Geschichte die gesamte Menschheit den einen Gott, Allah, anbeten
würde. Die einzig denkbare Alternative war ja, daß die Menschheit dem
Hedonismus, dem Atheismus und schließlich dem narzißtischen Wahnsinn verfiele.
Sein jüngerer Bruder konnte von jenen Problemen noch keine Vorstellung haben,
also war es in Ordnung, wenn er manchmal provokante Fragen stellte. Man mußte
Geduld mit ihm haben. Und Respekt vor seinen Zweifeln.
    Am Ende der langen Debatte schrieb Mahmud Swentja eine SMS : STELL DICH DOCH NICHT SO DOOF AN.
DU WILLST ES DOCH AUCH.
    Maschjonka und Robert Pfennig stritten nicht oft. Heute
schien es unumgänglich.
    »Was sollte das denn heißen, ich hätte Angst, schwul zu wirken? Was
willst du damit sagen? Und vor völlig Fremden? Die blöde Fotze hielt sich für
was Besseres, gut, soll sie. Du hättest sie nicht darum bitten müssen, es sich
noch mal zu überlegen, wer sind wir denn?«
    »Sie ist eine Koryphäe, Robert.«
    »Eine verbitterte, in ihrem Beruf gescheiterte Krähe ist sie, und
ich mag es nun mal nicht, wenn du vor so einer den Kotau machst und drum bettelst,
daß wir ihr unser Geld nachwerfen dürfen. Ist unter meiner und deiner Würde.
Herrgott, du hast dich ja bei ihr für mich entschuldigt! Nur weil ich ihr
gesagt hab, worin ihr Problem besteht.«
    »Du hast sie beleidigt, und das macht man nicht.«
    »Sie hat uns abgelehnt, und ich hab sie abgelehnt. Das ist keine
Beleidigung.«
    »Du hast sie eine arrogante Ziege genannt.«
    »Ist sie das denn nicht?«
    GUT. TREFFEN WIR UNS IM C&A IN NEUKÖLLN. MORGEN
UM ZWEI.
    Swentja hörte im Nebenzimmer ihre Eltern streiten. Worum es genau
ging, wußte sie nicht, es war ihr auch egal. Sonja kam aus ihrem Zimmer,
begehrte von beiden Elternteilen gestreichelt zu werden, prompt hielten die den
Mund und stritten nicht mehr. Swentja fand zum Kotzen, wie sie sich, des lieben
Kleinkinds wegen, verbogen. Wie sie der Fünfjährigen eine heile Welt
vorgaukelten. Nein, diese Welt war nicht heil. Swentja hatte sich im Verdacht,
verliebt zu sein. In einen Stinkekanaken. Wem konnte sie davon erzählen?
Marlene vielleicht. Aber auch nur nach einer oder besser zwei Flaschen Bier.
    Abends traf sich Janine mit einem Mann, der sich Brandbeschleuniger nannte, zum Essen in der Kreuzberger Osteria Numero Uno . Die beiden hatten sich bei einer
Internet-Partnervermittlungsbörse kennengelernt, ein paarmal gechattet, einige
Mails und SMS getauscht und relativ schnell ein
Treffen beschlossen. Brandbeschleuniger stellte sich als Uwe vor, ohne einen
Nachnamen zu nennen. Janine, deren Alias Tanzkatze lautete, gab
sich als Kim aus. Warum ihr dieser Name besser gefiel als ihr eigener, hätte sie nicht
sinnvoll begründen können, hauptsächlich ging es ihr darum, in eine neue Rolle
zu schlüpfen, in ein neues Leben, dazu gehörte ein neuer Name.
    Außerdem hatte sie, unvorsichtigerweise, in einer der Mails erwähnt,
von Beruf Tänzerin zu sein und aus Hessen zu stammen. Bei einer Google-Suche
nach den Begriffen »Tänzerin«, »Hessen« und »Janine« wäre ein findiger Mensch
ziemlich schnell auf diverse Zeitungsartikel gestoßen, die zuviele
Informationen über ihre Karriere preisgegeben hätten.
    Daß Uwe ›in echt‹ fast genauso aussah wie auf seinem Foto im Netz,
wußte Janine nicht sonderlich zu würdigen, denn ihr fehlten die nötigen
negativen Erfahrungen, um sich über etwas, das sie für selbstverständlich
hielt, zu freuen. Sie hatte nie zuvor auf virtuellem Weg ein Date vereinbart,
empfand die Situation als dementsprechend aufregend und recht angenehm. Uwe
begann die Konversation mit der Bemerkung, er würde sie gerne, wenn sie nichts
dagegen habe, einladen, es wäre ihm ein großes Vergnügen. Janine gönnte ihm
dieses Vergnügen, ohne Skrupel.
    Ihr

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