Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman
er. »Kann ich dich sprechen?«
Swentja hatte ihn bereits, ohne irgendeinen gefühlten Verlust zu
verbuchen, aus ihrem Gedächtnis gestrichen. Andererseits gefiel ihr das Buch,
in dem sie grade las, nicht besonders. »Was willst du?«
Johnny setzte sich zu ihr auf die Bank. »Ich hab viel nachgedacht in
letzter Zeit.«
»Aha? Wow!«
»Mach dich bitte nicht lustig über mich! Ich weiß jetzt, daß ich
schwierig war, also, daß es mit mir schwierig war. Das tut mir leid.«
Mahmud klingelte bei Swentjas Eltern. Er stellte sich
ihnen vor, mit allem Respekt, und wollte wissen, ob Swentja für einen Moment
rauskommen könne. Er habe etwas mit ihr zu besprechen. Robert Pfennig, gerade
damit beschäftigt, seiner Frau endlich mal zu sagen, was in ihrer Ehe alles
schiefgelaufen sei, meinte, etwas kurz angebunden, Swentja triebe sich
höchstwahrscheinlich auf dem Spielplatz an der Yorckstraße herum.
Mahmud dankte höflich und hinterließ einen zwiespältigen Eindruck.
Einerseits schien er ein wohlerzogener Junge zu sein. Andererseits –
»Wer war das?« wollte Maschjonka wissen.
»Ein Araber. Ein junger Araber hat nach Swentja gefragt.«
»Gott im Himmel!«
Johnny berichtete darüber, wie jüngst in seinem Gehirn
selbstentwickelte Gedanken Aufnahme gefunden hätten. Inzwischen sei ihm vieles
klar geworden. Wie fremdbestimmt das Leben verlaufe, vor allem am Anfang. Daß
nicht die Welt, wie sein Vater immer behauptet hatte, verrückt und gefährlich
sei, daß vielmehr, auf gewisse Weise, sein Vater verrückt und gefährlich war.
Er indes, Johnny, habe Swentja stets von ganzem Herzen geliebt, und daran sei
nichts, rein gar nichts je unanständig gewesen. Im Gegenteil.
»Na und? Worauf willste hinaus?«
»Ich brauche dich! Ich werde – und ich muß – meinen Eltern sagen, daß
ich nicht mehr so denke, wie sie es immer von mir verlangt haben.«
»Ach, du Ärmster, ich soll dabei dein Händchen halten?«
»Bitte – rede ernsthaft mit mir!«
»Ernsthaft?« Swentja tat, als sei die Forderung an sich schon
lächerlich. Sie hätte kaum beschwören können, für Johnny jemals wirklich etwas
empfunden zu haben, und selbst, wenn sie seine Versprechen, sich komplett zu
ändern, guthieß, wollte sie auf keinen Fall in seinen Abnabelungsprozeß
verwickelt werden. So etwas konnte nur Stress bedeuten.
»Das mußte mit dir allein abmachen.«
»Ich liebe dich!«
»Kannste so oft wiederholen, wie du willst. Mir gehts deswegen
umgekehrt nicht so.«
Mahmud hatte am Sonntagvormittag seinem älteren Bruder
eingestanden, daß er in ein jüngeres Mädchen verliebt sei, bis über beide
Ohren, und ihn um Hilfe gebeten. Faisal hatte Mahmud dringend davon abgeraten,
überhaupt in irgendwen verliebt zu sein, das führe nur zu Ärger. In seinem
Alter sei qualvoller Verzicht angesagt. Wenn er seine Unschuld unbedingt
verlieren müsse, wenn es gar nicht mehr anders gehe, bitte sehr – dazu seien
Prostituierte erfunden worden.
»Ich soll zu einer Hure gehen?«
»Das sag ich dir als dein Bruder, nicht als Muslim.«
»Für dich sind deutsche Frauen doch sowieso Huren, wie alle Frauen,
die kein Kopftuch tragen!«
Faisal verbat sich eine solche Auslegung. Dergleichen habe er nie
geäußert. Er habe Respekt vor dem Kulturkreis, in dem sie lebten.
»Auch vor Huren?«
»Nein, vor Huren muß man keinen Respekt haben. Man sieht ihnen nicht
ins Gesicht, bezahlt sie – und gut.«
»Ich hab nem deutschen Mädchen Geld geboten, wenn sies sich von mir
machen läßt.«
Faisal rückte, als er das hörte, demonstrativ von seinem Bruder ab.
»Mach keinen Scheiß, Brüderchen!«
»Was führst du dich so auf? Du hast grad eben selbst gesagt, ich
soll zu einer Hure gehen. Wenn das Mädchen mein Geld nimmt, ist sie doch eine.«
»Das wäre Sünde, Mahmud! Ich meinte, du sollst zu einer Professionellen gehen. Zu einer gefallenen Frau, die nichts dabei fühlt. Einmal . Damit du es hinter
dir hast. Dafür zeigt Allah Verständnis.«
»Woher weißt du das, Bruder?«
»Ich sag das nicht offiziell, aber Allah weiß um die Nöte der
Männer. Er ist großzügig, glaub mir.«
»Hat er dir das persönlich gesagt? Hast du das vielleicht sogar
schriftlich?«
»Du gehst mir auf die Nerven, Bruder!«
Johnny war nicht bereit, sich einfach abschütteln zu
lassen. Auch wenn er inzwischen an fast allem anderen zweifelte – seiner
Auffassung nach bestand zwischen Swentja und ihm immer noch eine vom Himmel
geknüpfte und gesegnete Verbundenheit. Da konnte sie
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