Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Titel: Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
Vom Netzwerk:
zog die
Stirn in Falten, schüttelte leicht irritiert den Kopf. »Kennen wir uns nicht?«
fragte er in einem fast unschuldig zu nennenden Ton, wie man ein Gespräch
beginnt, aber betonen will, daß es sich bei der Frage eben um keinen
abgeschmackten Flirtversuch handelt.
    »Jetzt, wo Sie es sagen. Wir haben vor ein paar Tagen miteinander
geschlafen, glaub ich.« Janine fühlte sich veräppelt und reagierte
dementsprechend gereizt, wollte in ihre Antwort genausoviel Bosheit legen, wie
ihrer Meinung nach in der Frage mitgeschwungen hatte.
    »Ich kann mich gut daran erinnern«, sagte Uwe. »Ich dachte nur, es
wäre vielleicht nicht angebracht, in Anwesenheit anderer gleich so viel
intime Information auf den Tisch zu legen.«
    »Ich will nicht stören. Wo du ja schon Nachschub hast.« Janine ging
zum Du über und vermied es, die ›Anwesenheit anderer‹ über die bloße
Feststellung hinaus, etwa mit einem freundlichen Lächeln oder auch nur einem
Blickkontakt, wahrzunehmen. Ihr schnippischer Tonfall wich einer Art
Schüchternheit, ja Scham.
    »Nachschub?« Uwe lächelte indigniert. Die Frau neben ihm klopfte an
seinen Ellbogen. »Willst du uns nicht mal bekannt machen?«
    »Sicher«, sagte Uwe. »Also: Das ist meine Frau, Julia. Bald wird
sie, leider, meine Ex-Frau sein. Und das ist Kim, eine Tänzerin, wir kennen uns
aus dem Internet.«
    Julia reichte Janine die Hand. Janine wußte nicht, was sie tun
sollte, und griff in Ermangelung anderer Möglichkeiten nach der Hand, kurz,
ganz kurz, wie man einen heißen Kohlebrocken von einem Teller zum anderen
stupst. Sie mochte nicht als Tänzerin vorgestellt werden, aber was hätte sie entgegnen
sollen? Sollte sie einwerfen, sie sei mal Primaballerina in Darmstadt gewesen?
    »Soso, du lernst Tänzerinnen aus dem Internet kennen! Und? Seid ihr
jetzt zusammen?«
    Uwe vollführte als Antwort eine Geste, die das deutlich offenließ,
in der größtmöglichen Schwebe, sozusagen. Dazu machte er ein Schnalzgeräusch,
das in viele Richtungen hin deutbar blieb. Janine/Kim war inzwischen rot
angelaufen und wollte schnell gehen, aber ihr Essen war bestellt und sie konnte
sich keinen peinlicheren Verlauf vorstellen, als einfach einen Zehn-Euro-Schein
auf den Tisch zu legen und zu flüchten. Sie mußte jetzt ihr Gesicht wahren,
mußte cool sein, mußte sich der Situation gewachsen zeigen, in die sie durch
ihre eigene Unbeherrschtheit geraten war.
    »Man wird sehen«, hörte sie sich wie aus weiter Ferne reden.
»Sexuell hat es durchaus gefunkt, jetzt muß man halt noch das
Zwischenmenschliche … äh … einer Prüfung unterziehen.« Janine konnte
selbst kaum glauben, was Kim da von sich gab.
    Julia König schmunzelte. Das sei interessant. Früher, sagte sie,
habe man das ja andersrum gehalten, aber eigentlich sei dieser Weg der
effektivere, denn was nützten alle zwischenmenschlichen Kongruenzen, wenn es
dann im Bett nicht klappen würde.
    Der Tonfall, in dem Julia dies vortrug, ließ auch eine ironische
Interpretation zu. Janine wußte nicht mehr aus noch ein. Diese elegant-parlante
Schickse spielte Spielchen mit ihr, denen sie momentan nicht gewachsen war. Der
Glasnudelsalat und der Apfel-Minz-Shake wurden gebracht. Janine zahlte sofort,
um sich ein wenig Handlungsfreiheit zu sichern.
    »Sag mal, Brandbeschleuniger, wann sehen wir uns eigentlich wieder?«
    Uwe dachte einen Augenblick zuviel nach. »Wir rufen uns einfach
zusammen, oder?«
    Janine dachte: Pustekuchen. Die Kim in ihr aber nickte. »Gut, machen
wir, gibst du mir noch mal deine Nummer? Ich hab sie, fürchte ich,
verschlampt.«
    Uwe überlegte zwei, drei Sekunden, schrieb dann eine Nummer auf
einen Bierdeckel und reichte ihr den, wie man als Dealer beim Blackjack eine
verdeckte Karte gibt. Janine nahm den Bierdeckel, steckte ihn in ihre
Handtasche, ließ den Glasnudelsalat, bis auf zwei, drei Alibigabeln, unberührt
stehen, stürzte den halben Shake in einem Zug hinunter und entschuldigte sich,
sie müsse noch einen Termin wahrnehmen, der ihr entfallen sei. Mit diesen
Worten verließ Janine das Lokal, so hastig, daß sie wegen der ungewohnten hohen
Schuhe beinahe noch umgeknickt wäre. Sie hätte gern jemanden, irgendeine
neutrale Instanz, gefragt, mit der Bitte um ehrliche Antwort, ob sie sich
lächerlich gemacht hatte. Andererseits: Scheiß drauf. Es gab so viele Menschen.
So viele. Milliarden. Und alle würden in hundert Jahren tot sein. Sie war nur
einer davon. Für Uwe traf nichts anderes zu.

3
    Es sei, sagte Holger,

Weitere Kostenlose Bücher