Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman
Gelegenheitsnutte, er als Gigolo (welch
diskrepanter Klang) Geld verdiente – und bald waren die beiden rettungslos, ja
fast kindisch ineinander verliebt gewesen. Um etwas nur für sich zu haben,
trafen sie eine Vereinbarung. Vincent würde nie in eine seiner Kundinnen ohne
Gummi abspritzen, umgekehrt würde Vivien es keinem Freier, egal, welche Summen
der bot, erlauben, sein Sperma mit ihrer Haut in Berührung zu bringen. Beide
fanden ihren Job im Grunde nicht so übel, und jene Vereinbarung erlaubte ihnen,
jenseits des prosaischen Anschaffens, ein Rückzugsgebiet zärtlicher
Zweisamkeit. Würden sie beide fünfzehn Jahre arbeiten und sparsam leben,
konnten sie sich danach zur Ruhe setzen und ein Kind zeugen. So lautete der
große Plan, unter dessen Dach sie glücklich lebten. Nun herrschte
Diskussionsbedarf.
Vincent berichtete, er habe das Angebot bekommen, in einem Pornofilm
mitzuwirken. Der Produzent sei an ihn herangetreten, wolle ihn engagieren, ihn
und nur ihn, er habe sich sogar schon einen brüllend komischen Künstlernamen
für ihn ausgedacht: Vincent Van Cock , naja, wie auch immer, es solle ein
epochemachender, revolutionärer, witziger Porno jenseits aller konsumistischen
Sehgewohnheiten werden, mit Stil und Glanz, kein billiger Schund, ein
Turbo-Porno der nächsten Generation, den auch Frauen gerne gucken würden, mit
allseits nachvollziehbarer Lustentwicklung, mit psychologisch fein gestalteten
Identifikationsfiguren statt fleischlichen Preßlufthämmern, die blöde
Macho-Sprüche absonderten. Vincent habe die Idee unterstützenswert gefunden und
sogleich Vivien als mögliche Partnerin ins Spiel gebracht – allein, der
Produzent habe abgewinkt, nachdem er ihr Foto sah. Vivien sei ihm zu dürr, er
wolle Frauen zeigen, die Ärsche und Kurven besaßen, richtige Frauen, aus der
Mitte des Lebens, durchaus mit kleinen Problemzonen. Nun saßen Vincent und
Vivien zusammen in der Küche des Apartments, das sie sich seit jenem
Weihnachtsabend teilten, streichelten sich gegenseitig die Kopfhaut und tranken
Grüntee.
»Ich bin dem zu dürr?«
»Leider.«
»Aber du möchtest da mitspielen?«
»Es hört sich wie ne gute Sache an. Politisch gesehen. Und ich würde
gern mal innem Porno mitspielen. Ja.«
»Warum?«
»Damit ich mich im Alter betrachten kann. Wie ich mal war.«
»Okay. Das ist ein guter Grund.« Vivien strich ihrem Vincent über
die Stirn.
»Sicher werd ich meiner Filmpartnerin in den Mund kommen müssen. Mit
Gummi ist da sicher nichts zu machen.«
»Du willst meine Erlaubnis dafür haben?«
»Ja.«
»Du bist süß.«
»Wär das denn okay für dich?«
»Du verdienst zweitausend Euro damit?«
Vincent nickte.
»Das ist okay. Da kann niemand nein sagen. Wir legens auf die hohe
Kante und gut.«
»Danke. Ich liebe dich.«
»Da nich für.« Vivien wollte endlich die Sprache auf ihre eigenen
Kollisionen mit der Wirklichkeit bringen, zum Beispiel der, daß ihre
psychotische Tanzlehrerin ihr keinerlei Talent bescheinigt und sie in den Wind
geschickt hatte. Aber es klingelte an der Tür.
Mahmud und Swentja saßen einander gegenüber, sie auf der
Couch, er auf dem speckigen alten Ledersessel, auf dem die Nakkenhaare von
Marlenes Vater einen Fettfleck hinterlassen hatten.
Sonst hatte Marlenes Vater der Familie nichts hinterlassen, als er
vor zwei Jahren an Leberzirrhose gestorben war, aber davon ahnte Mahmud nichts
und den Sessel fand er ganz gemütlich, fläzte sich hinein und rauchte eine
Selbstgedrehte.
»Wie geht das nun weiter mit uns?« fragte er Swentja in einem
seltsam gezierten, beinah resignativen Tonfall, als wäre er so was wie Swentjas
Bewährungshelfer, dem allmählich die Geduld verlorenging. Swentja wußte nicht,
was sie antworten sollte, und stellte schließlich eine Gegenfrage. »Liebst du
mich oder willst du mich nur ficken?«
»Wie kommste auf die Idee, daß ich dich –« Lieben würde , wollte
Mahmud eigentlich sagen, aber es klang bereits in Gedanken zu grob, und er
entschied sich spontan um.
»Nur ficken will? Glaubst du, wenn ich dich nur ficken will, mach
ich son Gerenne und reiß mir beinahn Bein aus, um dich zu finden?« Mahmud
registrierte überrascht, daß diese Schmeichelei gar nicht so verlogen rüberkam,
ja einigermaßen glaubhaft klang. Sogar in seinen eigenen Ohren! Er begriff, daß
irgend etwas vorging mit ihm, das ihn unter Kontrolle hatte, nicht andersherum.
»Wir könnten«, hörte er Swentja sagen, »ja erst mal das machen, was
wir sowieso vorhatten.
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