Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman
leicht, Bettler zu bestehlen.
»Man zeigt die kleine Münze – zehn oder zwanzig Cent, bückt sich,
legt sie in die Kiste, hält Sichtkontakt und sagt laut: Hier bitte! Der Bettler
sieht dich derweil an und dankt dir, während du die größere Münze, einen oder
zwei Euro, aus seiner Kiste fischst. Noch leichter als Bettler sind
Saxophonspieler zu beklauen, die haben ihr fettes Instrument vorn Augen und
blicken nicht, was vorgeht. Denen kann man, wenn man flinke Finger hat, schon
mal mehrere Münzen ausm Koffer fischen.«
Aber das sei doch nicht okay, Bettler zu beklauen, meinte eines der
Mädchen, Tine, die mit dem blonden Pferdeschwanz und der Zahnlücke.
»Die verdienen bis zu zweihundert Euro am Tag«, klärte Holger sie
auf. »Das sind Spitzenverdiener! Und tun überhaupt nix für die Kohle! Nur
rumlungern und die Hand aufhalten!«
»Ach so«, sagte Tine und dachte darüber nach.
Maschjonka neigte zu apodiktischen Aussagen, zu Defätismen
und Schwarzweißmalereien aller Art. Robert hatte gelernt, derlei locker zu
nehmen, aber als sie ihm am frühen Abend, ohne jeden Anflug von Sarkasmus,
»Danke!« ins Ohr flüsterte, sie sei wieder schwanger, wurde ihm anders. Genau
dasselbe hatte sie nämlich an jenen Abenden gesagt, als Swentja und Sonja
gezeugt worden waren. Und beide Male hatte sie recht behalten.
Nein, er wollte kein drittes Kind. Er sagte das nicht laut und auch
nicht leise. Er war verwirrt bis entsetzt. Gestern, als Mascha ihn gebeten
hatte, etwas zu tun, irgendwas, hatte er mit ihr geschlafen, zum ersten Mal
seit Monaten. Es war selbstverständlich ihr Einfall, ihre Entscheidung gewesen,
sie hatte ihm die Hose aufgeknöpft und ihm hysterisch das Hemd vom Leib
gerissen. Ob Mascha gewußt hatte, fragte er sich jetzt, daß es ein gefährlicher
Tag gewesen war? Natürlich, dachte er. Jede Frau weiß das, und Mascha sowieso.
Robert fühlte sich überrumpelt und hintergangen. Ausgenutzt. Daß er vor dem
Erguß auch einen Rückzieher hätte machen können, diesen Gesichtspunkt blendete
er vor sich aus, das war im Moment nicht das Thema.
Herrgott, jetzt, da sie Sonja vielleicht für immer verlieren würden,
wie hätte er da seiner Frau verbieten können – ? Unmöglich. Aber durfte man aus
trauertherapeutischen Gründen ein Kind in die Welt setzen?
Robert seufzte und fluchte, immer abwechselnd, holte die Flasche
Cognac aus dem Keller und schenkte sich ein großes Glas ein. Hauptsache,
Maschjonka hörte hin und wieder auf zu schreien und zu weinen. Alles war
besser.
»Was für eine groteske Person!«, seufzte Julia, als jene Kim endlich das Weite gesucht hatte.
»Du bist wirklich einzigartig, Julia. Und grausam. Muß ich dir zum
x-ten Mal sagen.«
»Bin ich. Weiß Gott. Warum hat sie dich Brandbeschleuniger genannt?«
»Naja, weißt du … Manchmal denke ich, wir sollten uns
vielleicht doch nicht scheiden lassen.«
»Ach komm. Werd nicht sentimental. Vorbei ist vorbei. Aber mußt du
wirklich alles vögeln, was sich dir in den Weg wirft? Mensch! Sei künftig ein
bißchen wählerischer, ja? Du solltest Frauen vermeiden, die sich gleich in dich
verlieben.«
»Hast du mich wenigstens noch gern?«
»Merkst du das nicht?«
»Und du? Hast du inzwischen wen neuen?«
Julia schüttelte den Kopf. Dafür habe sie keine Zeit. Selbst daß sie
hier mit ihm sitze, sei aus Vernunftgründen kaum zu verantworten.
»Du hast überhaupt keinen Sex mehr?«
»Doch. Immer sonntags.«
»Wie bitte?«
Julia nippte schuldbewußt an ihrem kalorienreichen
Kokos-Ananas-Shake und gab keine weiteren Auskünfte. Ihre Ehe mit Uwe war daran
gescheitert, daß er fast zehn Jahre jünger war als sie und zuwenig beruflichen
Ehrgeiz zeigte. Im Bett war er zugegeben eine Granate gewesen, aber darauf
allein ließ sich keine langfristige Lebensgemeinschaft aufbauen. Er, der
geborene Filou, hatte stets beklagt, daß sie zuwenig Zeit für ihn erübrige, zu
sehr mit ihrem Job verheiratet sei. Er, der sich mühevoll vom Fachverkäufer zum
Marktleiter hochgearbeitet hatte und darauf mordsstolz war, konnte nicht
verstehen, daß sie mit fünfzig rundum abgesichert sein, ein Haus mit zehn
Zimmern an der französischen Riviera haben wollte und genug Schotter auf dem
Konto, um sich ganzkörperrasierte Granaten im Bett auch dann noch leisten zu
können, wenn längst kein Schwanz mehr beim Anblick ihres entkleideten Körpers
hochschnellen würde wie ein wachsames Erdmännchen. Julia wollte dem Alter, das
sie so sehr fürchtete, eine Schnippe
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