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Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Titel: Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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schlagen, und ihr Plan war, wie sie fand,
hervorragend durchdacht. Uwe hatte für diese Weitsicht nie Verständnis gezeigt,
geschweige denn Beifall gespendet. Er war ein Zwerg. Und würde immer einer
bleiben. Ein großschwänziger Zwerg.
    Das einzige, was Julia je aus Liebe getan hatte, nämlich Uwe zu
heiraten, in einem Anfall von durch nichts gutzumachender Romantik, hatte sich,
wie von ihrem seligen Vater einst prognostiziert, als Zeitverschwendung, als
schwülstige Schnurre herausgestellt.
    Und doch – auf jener Ebene der von allen Hintergedanken freien,
simplen Gefühle – mochte sie ihren Mann noch immer. Zudem hatte die Heirat auch
etwas bleibend Gutes gehabt. Sie hatte aus Julia Senfmüller eine Julia König
gemacht – diese Umbenennung war von nicht hoch genug einzuschätzendem Nutzen
gewesen.
    Mahmud hatte eine detektivisch zu nennende Recherche
betrieben. An Swentjas Schule bekam er durch ziemlich hartnäckiges Nachfragen
die Namen ihrer engsten Freundinnen heraus und telefonierte die reihum an. Er
war auch noch mal bei den Pfennigs gewesen, aber die hatten ihm die Tür vor der
Nase zugeschmissen, er solle sich hier vorläufig nicht blicken lassen, ihm
fehle es offensichtlich an Taktgefühl.
    Bei Marlene hatte er mehr Glück. Statt, wie ihr aufgetragen worden
war, zu behaupten, nichts über Swentja zu wissen, dachte Marlene, diese
Auskunft gelte nur, falls Swentjas Eltern nach ihr fragten.
    »Ja, sie ist hier. Willst du sie sprechen?«
    »Nein, ich komm gleich vorbei.«
    »Da muß ich sie aber erst fragen, ob ihr das auch recht ist.« Sagte
Marlene und drehte sich nach Swentja um, doch in diesem Moment klingelte Mahmud
bereits an der Haustür.
    Johnny war weniger einfallsreich gewesen. Auch er hatte
die Pfennigs noch einmal aufgesucht und in Erfahrung gebracht, daß Swentja
derzeit auswärts, bei irgendeiner Freundin nächtigte, sie wüßten nichts
Genaueres und könnten ihm nicht weiterhelfen.
    Johnny kam nicht auf die Idee, in der Dreimillionenstadt nach
Swentja zu suchen, wobei, die Idee kam ihm schon, sie schien ihm jedoch allzu
absurd. Zwangsläufig mußte er seine Energien in andere Bahnen lenken. Er
beschloß, etwas zu tun, wofür ihn sein Vater, falls er je davon Kenntnis
erhielt, verstoßen würde. Natürlich würde der Vater ihm danach irgendwann
wieder verzeihen, das war ebenso vorhersehbar wie von Grund auf vorhergesehen.
Strafe und Vergebung waren feste Bestandteile seiner pädagogischen Liturgie.
Doch erst einmal würde er ihn verstoßen, vielleicht nicht verfluchen, aber
verstoßen. Pfeif drauf. Johnny hatte nicht vor, das, was er vorhatte, seinen
Eltern zu offenbaren. Aber etwas, er wußte selbst nicht so genau, was, lag ihm
daran, künftig eine Sünde mit sich herumzutragen, die er seinen Eltern bei
Gelegenheit offenbaren könnte . Sei es, um sie brutal vor den Kopf zu stoßen oder
wenigstens zu verwirren.
    Marlene öffnete. Draußen stand ein junger Araber. Marlene,
deren alleinerziehende Mutter im Kaufland als Kassiererin arbeitete, war
tagsüber die Herrin im Haus und konnte frei entscheiden, wer reinkam und wer
nicht. Aber dieser Typ wartete ihre Entscheidung erst gar nicht ab, stürmte an
Marlene vorbei wie ein Sondereinsatzkommando. Und sie fürchtete sich vor ihm.
    »Swentja?«
    Swentja saß mit einer Tüte Erdnußflips im Wohnzimmer vor dem
Fernseher, wo sie mit Marlene eben noch eine DVD aus der ersten Staffel von Nip Tuck geguckt hatte.
    »Mahmud?«
    »Du kennst den?« wollte Marlene wissen.
    »Ich kenn den.« Swentja empfand Mahmuds unangemeldeten Besuch als
erfrischende Überraschung.
    »Läßt du uns bitte allein? Wir haben was zu besprechen.« Sagte
Mahmud in Richtung Marlene, der das alles höchst eigenartig vorkam, die deshalb
in der Wohnzimmertür stehenblieb, bis Swentja ihr einen Wink gab, es sei gut
so, sie möge sich bitte nicht einmischen. Leicht beleidigt stampfte Marlene in
die Küche, um sich einen Kakao zu machen.
    Vincent und Vivien gehörten lose der Religionsgemeinschaft
der Alliteraten an. Zwar waren beide ansonsten eher rationale Menschen, aber
daß ihre Vornamen jeweils mit Vi begannen, hatten sie als romantischen Wink des
Schicksals verstanden. Oder immerhin als wunderschönen Zufall.
    Seit gut fünf Monaten waren sie nun zusammen, nach einer denkbar
dramatischen ersten Begegnung, als Vincent die einundzwanzigjährige Obdachlose
dabei erwischt hatte, wie sie am Weihnachtsabend in seine Wohnung eingebrochen
war. Es stellte sich heraus, daß sie als

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