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Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Titel: Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Ich brauchn bißchen Geld, weißte, ich lieg Marlenes Ma
auf der Tasche und freß mich bei ihr durch. Zu meinen Eltern will ich grad
nicht zurück.«
    »Ach? Du willst Kohle von mir!« Mahmud tat, als sei er von dem
Vorschlag leicht angewidert. War es nicht eben um Liebe gegangen? Oder wollte
Swentja einen Beweis seiner Liebe in finanzieller Form? Und war das okay?
Mahmud blickte da nicht mehr recht durch. Plötzlich erhob sich Swentja vom
Sofa, setzte sich auf seinen Schoß und küßte ihn. Und alles war gut und
sagenhaft einfach geworden, von Augenblick zu Augenblick.
    Bis er sie eine Hure nannte.
    Johnny stand vor der Tür und brachte außer Hallo kein Wort heraus. Er deutete stumm auf die rot umkringelte Anzeige in der BZ – Vivien, 21, Kindfrau, schlank, empfängt von 11-21 Uhr .
    Viv hatte Erfahrung mit Jungs, denen es die Sprache verschlug. Sie
nahm Johnny am Arm und zog ihn in die Wohnung. Der Ärmste schien derart
gehemmt, daß er nicht einmal nach den Preisen fragte, für dies oder das.
    »Möchtest du einen Tee?«
    Johnny schüttelte den Kopf. Ihm kam die Frage vor wie blanker Spott.
Es war doch wohl klar, was er wollte. Tee nun mal nicht. Er war so aufgeregt,
daß er am liebsten kehrtgemacht hätte und aus der Zone des Bösen herausgerannt
wäre. Aber die Zone des Bösen sah lieblich aus und zuvorkommend. So grazil und
sanft und gar nicht böse, auf den ersten und zweiten Blick.
    »Wie heißt du denn?«
    »Johannes.«
    »Worauf stehst du?«
    »Weiß ich nicht.«
    Vivien hatte den Jungen in ihr Zimmer geschoben. »Setz dich bitte!«
    »Aufs Bett?«
    Es gab sonst keine Sitzmöglichkeit, doch Viv unterdrückte ein
Lächeln, beantwortete die Frage sachlich, ohne sarkastischen Unterton. »Ja,
klar.«
    Johnny setzte sich auf das Wasserbett, und wie er da saß und wippte,
während sein Puls raste und seine Knie zitterten, bot er ein berührendes Bild
kaum kaschierter Schutzlosigkeit.
    »Ich muß noch mal aufs Klo!«
    »Kein Problem.« Viv zeigte ihm den Weg zur Gästetoilette. Johnny
schloß ab und holte sich über der Klomuschel einen runter, es kam ihm binnen
zwanzig Sekunden. Sein Penis blieb danach steif. Er war so erregt, daß es ihm
auch zum zweiten Mal in Rekordfrist gekommen wäre, und vielleicht sogar zum
dritten Mal, wer weiß? Lange zögerte er das Wiedersehen mit Viv hinaus. Sie
würde seine erste Frau sein, wenn er dieses Klo verließ, und sie war hübsch,
roch gut, war freundlich und begehrenswert, eine Elfe, ein Engel. Ein
gefallener Engel, der ihm so gut gefiel. Eine Falle. Wenn er dieses Klo
verließ.
    »Johannes? Alles klar da drin?«
    Johannes antwortete nicht.

4
    Janine rief Uwe gegen Abend an. Genaugenommen rief sie die
Nummer an, die Uwe auf den Bierdeckel gekritzelt hatte. Es meldete sich der
Nachtportier der Charlottenburger Sternwarte, der zwar keinen Uwe kannte, aber
sofort seine Freude zum Ausdruck brachte, die Stimme einer Frau zu hören. Er
lese viel, berufsbedingt, sei einsam und ein guter Mensch, zweiundsechzig Jahre
alt. (Er machte sich fünf Jahre jünger.) Janines Enttäuschung wich binnen
weniger Minuten dem bedingungslosen Wunsch nach Rache. Vor Wut bekam sie den
schlimmsten Anfall ihres Lebens, ging zuckend zu Boden und wollte sich danach
nur noch betrinken.
    »Du nennst mich eine Hure ? Hast du sie noch
alle?«
    Swentja warf ihm ein Kissen ins Gesicht. Mahmud drückte seine fast
fertig gerauchte Zigarette auf der Lehne des Ledersessels aus, schnippte den
Stummel in Swentjas Richtung, stand auf und ging. Noch bevor er die Wohnungstür
erreichte, tat es ihm leid, er hatte plötzlich keine Ahnung mehr, welcher
Teufel ihn eben geritten hatte. Aber zu sagen, daß es ihm leid tat, kam nicht
in Frage, also trat er auf die Straße hinaus und kippte eine Mülltonne um.
Swentja und Marlene (die wegen des Brandflecks im Sessel auf hundertachtzig
war) beobachteten ihn erschrocken durchs Küchenfenster. Er grinste beide an,
mit wild verzerrter Fratze, zeigte ihnen den Stinkefinger.
Schweinefresserhuren, verdammte. Tränen schossen ihm über die Wangen, aber das
konnten die Mädchen nicht sehen, denn er war fortgelaufen.
    »Johannes! Mach endlich auf! Was machst du da drinnen? Was
soll das?«
    Johnny gab keine Antwort. Er fühlte sich sicher auf dieser
Gästetoilette, er wollte nicht mehr hinaus. Auf diesen drei Quadratmetern würde
er vorläufig verschont bleiben von all den Konsequenzen, die ihm ansonsten
drohten. Warum vergaß ihn der gefallene Engel nicht einfach und lebte

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