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Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Titel: Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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sein
sündiges Leben? Warum stellte der Engel soviele Fragen? Wen störte er hier? Man
sollte ihn einfach in Ruhe lassen.
    »Freundchen, sperr die Tür auf!«
    Johnny erschrak. Das war die Stimme eines Mannes, die er da hörte.
Diese Stimme klang nicht lieblich, nein, und es kam noch schlimmer. Jemand
rannte gegen die Tür an.
    Einmal. Zweimal. Dann gab das Schloß nach und zerbarst, und die Tür
traf Johnny an der Schläfe, schleuderte ihn gegen die Wand. Er war einer
Ohnmacht nahe, leider nur nahe, sehnte sich nach ihr, ohne sie zu erreichen, er
blutete, nicht schlimm. Und jemand, der kräftig und groß war, packte ihn am
Kragen, kein Zweifel, der Teufel, nun nicht mehr in der Gestalt einer jungen
zierlichen Frau unterwegs, hatte ihn gefunden, bemächtigte sich seiner, zog ihn
in die Finsternis.
    »Bist du nicht ganz richtig im Kopf? Hast du dir was gespritzt?«
    Der Teufel stellte, statt Johnny einfach zu fressen, seltsame
Fragen, die auf raffinierte Weise fürsorglich klangen. Hinter ihm stand die
Elfe, der halbnackte, blutjunge Engel der Liebe. Johnny rieb über seine
Schläfe, betrachtete das Blut auf seinen Fingern, und der Teufel sagte, er
heiße Vincent, es tue ihm leid, er habe sich eben Sorgen gemacht.
    »Thomas, wir müssen reden!«
    Carla hatte, ohne anzuklopfen, Dr. Sterns Büro betreten, in dem er
sich nach 20 Uhr gern einen Glenfiddich gönnte, während er, über Akten gebeugt,
wie so häufig darüber sinnierte, ob für ihn nicht doch ein anderes,
erfüllenderes Leben möglich gewesen wäre. Immerhin besaß er eine treue und kluge
Frau und eine wilde, sportliche Geliebte, das Haus war beinahe abbezahlt, es
gab keine quengeligen Kinder, die zu erziehen waren, man mußte die positiven
Seiten sehen. Daß ihn sein gutbezahlter Job ankotzte, bitte sehr, was hätte
sein Vater dazu gesagt, der langzeitarbeitslose Schreinermeister, der zwei
Finger seiner linken Hand in der Kreissäge ließ und vor Scham darüber, daß
seine Frau die Familie durchbringen mußte, gestorben war. Um nicht länger im
Weg zu stehen. Der hätte gesagt – aber in diesem Moment kam Carla durch die
Tür, mit irgendeinem Redebedürfnis, und Sterns Selbsttherapie wurde jäh
unterbrochen.
    »Ja? Worum gehts denn?«
    »Ich möchte, daß wir von jetzt an nur noch normal befreundet sind.«
    Carla sah in ihrem grauen Businessanzug hinreißend aus, schnittig
und edel, und was sie da von sich gab, war längst schon von ihm so oder ähnlich
erwartet worden. Vom Anfang der Beziehung an hatte er einen Satz wie diesen
einkalkuliert. Ihm war klar gewesen, daß ein Geschöpf wie Carla letztlich nicht
lange für einen Mann wie ihn bestimmt sein konnte. Thomas hatte es
zwischendurch nur vergessen oder verdrängt gehabt, deshalb traf ihn das Ende
jetzt schwerer als nötig.
    »Verstehe.«
    Wieviel Mühe hatte er sich gegeben, ihrer Partnervorstellung
halbwegs zu entsprechen. Über fünf Monate waren sie jetzt schon zusammen, und
selten genug hatte er sich ihr gegenüber als der präsentiert, der er war. Stets
hatte er mehr aus sich zu machen versucht. Carla war ein Jungbrunnen gewesen,
an ihrer Seite hatte er sich wieder wie dreißig gefühlt, und nun?
    Nun war alles vergebens, sie hakte ihn ab, hatte genug, gut, das
mußte er akzeptieren, mußte froh sein um die abenteuerliche Zeit, die sie ihm
gegönnt hatte, die vielleicht beste in seinem Leben.
    »Okay.«
    Wie um sich eine Würde zu erschleichen, die er nicht besaß, für die
er nicht bestimmt war, tat er so, als habe auch er mit Carla abgeschlossen, als
füge er sich bereitwillig, ohne in der erloschenen Glut lange nachzustochern,
in seine neue Rolle des befreundeten Chefs.
    Zugleich wurde ihm klar, daß er Carlas wundervolle wachsrasierte
Möse womöglich nie mehr zu Gesicht bekäme, daß er nie mehr in ihren kleinen
Hintern würde beißen dürfen, nein, nicht einmal ihre marmorglatten Schenkel und
rotlackierten Zehen abzulecken würde ihm je wieder vergönnt sein.
    Carla war überrascht und froh, daß Thomas so gelassen reagierte. Sie
strich ihm ein letztes Mal über die Wange, wie um einen Zauber von ihm
abzustreifen, verließ sein Büro und bekam nicht mehr mit, wie er Rotz und
Wasser heulte und sich immer wieder aus der Whiskeyflasche nachschenkte, bis er
betrunken war.
    Er rief Sarah an, sie sollte ihn abholen. Er hatte Sarah. Carla
hatte niemanden wie Sarah. Ein solches Privileg mußte sie sich erst noch
erarbeiten. Aber Sarah ging nicht ran, und er bestellte stattdessen ein Taxi.
    Gegen

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