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Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Titel: Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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ihm. Johnny nahm ihn nur aus den Augwinkeln wahr,
vermied es, genauer hinzusehen, aus Furcht, es könne vielleicht der Vater sein.
Nein. Der war es nicht. Schlimmer.
    »Was treibst du hier?«
    Es war der junge Araber, der ihn neulich auf dem Kinderspielplatz
verprügelt hatte. Johnny erkannte ihn gleich wieder und straffte seinen Körper
in Erwartung einer neuen Attacke.
    »Ich seh mir die Züge an. Und du?«
    »Ich seh mir erst mal dich an.«
    »Heute war ich bei einer Nutte.«
    »Komisch. Ich auch.«
    Johnny hörte nichts Feindseliges aus Mahmuds Worten heraus,
wenngleich sie verbittert klangen. »Wars gut?«
    »Nein, bin wieder gegangen.«
    »Ich auch.«
    »Sag mal«, brauste Mahmud nun auf, »du redest nicht etwa von
Swentja?«
    »Nein, natürlich nicht. Vivien. So hieß sie. Vivien!«
    »Okay. Mit der kannst du machen, was du willst.«
    Johnny hörte heraus, daß mit diesem Satz ein gewisser Besitzanspruch
verbunden war, den Mahmud auf Swentja erhob, aber er war in diesem Moment nur
froh, sich eventuell gar nicht erneut prügeln zu müssen.
    »Swentja hat über dich abgelästert. Sie meinte, du wärst in soner
geisteskranken Sekte, und daß du sie erst heiraten müßtest, um sie vögeln zu
dürfen.«
    »Und in welcher Sekte bist du?«
    Mahmud mußte lachen. »In einer gigantischen.«
    »Du trinkst kein Bier, oder?«
    »Nee.«
    »Ich auch nicht.«
    »Quatsch, natürlich trink ich Bier! Glaubst du, Muslime trinken kein
Bier oder was?«
    Johnny entschuldigte sich, er wisse über Muslime recht wenig
Bescheid.
    »Faisal, mein Bruder, der trinkt nicht, weil er glaubt, das trübe
seinen Blick auf Allah. Er ist ein Sehender. Er hat nen Platz mit Panoramablick
gepachtet. Ich nicht. Gehen wir einen trinken?«
    Johnny, immer noch mißtrauisch, traute dem Frieden nicht, auch hatte
er Angst vor einer zweiten Bekanntschaft mit dem Alkohol. Doch weil er Mahmud
nicht beleidigen wollte, stimmte er zu, und sie gingen gemeinsam die
Monumentenstraße entlang Richtung Osten, wo es einige Kneipen gab.

5
    Janine fiel aus allen Wolken, als Uwe gegen halb zehn bei
ihr anrief. Mit vielem hatte sie gerechnet, damit nicht. Ob sie sich treffen
wollten, fragte er. Um ein wenig zu plaudern. Und sie, statt ihm vorzuwerfen,
ihr eben noch eine falsche Telefonnummer angedreht zu haben, sagte einfach nur:
Ja. Klar. Ja.
    Holger bat die fette Kellnerin, Getränke aufzufahren, bis
120 Euro verbraucht sein würden. Er hielt die Truppe aus und genoß es, im
Mittelpunkt zu stehen. Im Nachtmar spielte man Billard, Darts, Kicker und Flipper,
soff und feierte. Als Sibylle wissen wollte, woher er soviel Geld habe, bekam
sie zur Antwort, er habe es wem geklaut, das könne er gut, wie schon gesagt –
er würde sie stets zu ernähren wissen, keine Sorge!
    Sibylle blieb nicht unbeeindruckt. Es machte Spaß, mit Holger in
einem Team zu sein. Stiefel und Socke spielten schon ganz ordentlich, aber
Holger hatte es drauf, versenkte die Kugeln in den Löchern, wie er wollte, mal
mit schnellen, kraftvollen Stößen, mal mit viel Effet oder gefühlvollen Stupsern.
Er hatte Sex mit dem Billardtisch. Tine und Francesca spielten derweil am
Flipper, Holger übernahm die dritte und letzte Kugel, und mit dieser einen
Kugel kam er dem All-Time-Highscore gefährlich nahe, rammelte das Gerät, ohne
zu tilten, rettete sich aus Situationen, die andere verloren gegeben hätten,
und holte für die Truppe drei Freispiele raus. Holger wirkte geschmeidig,
kraftvoll, ein Wesen aus geballter Energie, er war definitiv was Besonderes.
Sibylle begann sich an den Gedanken zu gewöhnen, künftig die Frau an seiner
Seite zu sein. Sie hatte nie einen festen Freund gehabt, hatte sich gegen jede
Form von Inbesitznahme gewehrt, mit Händen und Füßen und schnoddrigen Sprüchen.
Holger wischte das alles beiseite.
    Janine betrat das Lokal, sah zuallererst eine Horde Punks,
über den Billardtisch gebeugt, und fand, daß Uwe einen geeigneteren Treffpunkt
hätte wählen können, etwas Gediegeneres, wo nicht so laute Musik gespielt
wurde. Und nicht so schlechte, aus den hintersten Schubladen des Mainstreams
von vor zwanzig Jahren.
    Aber die Kneipe verströmte einen gewissen nostalgischen Reiz. Janine
hatte große Teile ihrer Jugend in einem ganz ähnlichen Etablissement verbracht,
Erinnerungen kamen wieder, und Uwe saß in einem relativ ruhigen Bereich ganz
hinten, unter einem Poster von Marylin Monroe, die, obwohl als reale Person
längst bis auf die blanken Knochen verfault, als Ikone immer noch

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