Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
zuerst ganz einfach anhört, aber doch Kopfzerbrechen verursacht. Ich habe es von einem Ingenieur, der sicher ganz scharfsinnig zu operieren versteht und meines Wissens doch nicht mit der Lösung zustande kam. Es betrifft die Stellung der Uhrzeiger.
– Sie meinen doch nicht am Ende die bekannte Kinderaufgabe, wie oft und wann die beiden Zeiger in ihrer Stellung zusammenfallen?
Bewahre. Ich sagte es ja schon: es ist wirklich etwas Kniffliges. Also wir nehmen die bestimmte Zeigerstellung um 12 Uhr. In diesem Falle ist der große Zeiger mit dem kleinen vertauschbar, und wenn man sie vertauscht, entsteht wieder eine richtige Stellung. Aber in einem anderen Fall, zum Beispiel Punkt 6 Uhr, entsteht durch die Vertauschung eine Falschstellung, denn auf einer normalen Uhr kann es sich nicht ereignen, daß der große Minutenzeiger auf der 6 steht, während sich der kleine Stundenzeiger auf 12 befindet. Das liefert die Frage: wann und wie oft stehen die beiden Zeiger so, daß sie bei Vertauschung eine auf der Uhr mögliche Stellung einnehmen?
Sehen Sie, sagte Einstein, das ist eine richtige Zerstreuungsaufgabe für einen Betthüter; ganz interessant, nicht allzu leicht, – ich fürchte nur, das Vergnügen wird nicht lange anhalten, denn ich sehe schon den Lösungsweg.
Schon hatte er, im Bett halb aufgerichtet, etliche Striche auf Papier geworfen, ein Diagramm, das in einem räumlichen Bilde die Bedingungen der Aufgabe anschaulich kenntlich machte. Es ist mir nicht mehr erinnerlich, auf welche Weise er dabei zu einem Gleichungsansatz gelangte. Jedenfalls sprang das Ergebnis in nicht viel längerer Frist heraus, als ich gebraucht hatte, um die Aufgabe mitzuteilen. Es ergab sich eine sogenannte Diophantische Gleichung zwischen zwei Unbekannten, die er durch einfache ganzzahlige Einsetzung befriedigte, mit dem Resultat: 143 mal in 12 Stunden, und zwar in gleichen Intervallen; d. h. von 12 Uhr ab gerechnet können die zwei Zeiger alle 5+ 5 / 143 Minuten miteinander vertauscht werden, so daß wieder eine mögliche Zeigerstellung herauskommt.
Ich erwähne die kleine, an sich so bedeutungslose Episode, um an einem Beispiel festzustellen, wie ein großer Forscher auch am Spielerischen Gefallen finden kann. Bei Einstein tritt dieser Trieb, im Belanglosen Scharfsinn zu entwickeln, um so lebhafter hervor, als er für seine Rechnungsvirtuosität ein Ventil braucht, und jedem Anlaß dankbar ist, der ihm zu solcher Entladung verhilft. Von dem großen Euler , ebenso von Fermat werden uns ähnliche Züge berichtet, während manche andere hohe Mathematiker sich geradezu verunglückt fühlen, wenn sie in die Nähe wirklicher Zahlenrechnungen geraten. Noch sehe ich ihn vor mir, den herrlichen Ernst Kummer , seinerzeit eine Zierde der Berliner Universität, wie er sich in Qualen wand, wenn ihn in Verfolg der Formeln das kleine Einmaleins bedrohte. Tatsächlich sind die beiden Dinge, Mathematikbeherrschen und Scharf-Rechnenkönnen auseinanderzuhalten, wenn sie sich auch hin und wieder in ein und derselben Person zusammenfinden.
Bei Einstein gehört der erwähnte Trieb zu den Symptomen einer niemals auszumessenden Vielseitigkeit, er tritt zudem in den liebenswürdigsten Formen auf, und das Bild dieses Gelehrten wäre unvollständig, wenn man ihn nicht erwähnte. Jedes irgendwie amüsante Problem findet in ihm einen willigen und temperamentvollen Teilnehmer. Einmal brachte ich die Rede auf die »rätselhaften Schnitte«, das sind Längsschnitte in ausgedehnten, mehrfach um ihre Achse gedrehten und mit den Enden ringförmig verbundenen Streifen aus Papier oder Leinwand. Dabei ergeben sich nach Ausführung des Scherenschnittes höchst merkwürdige Kettengebilde, schwer zu erklären und fast unmöglich vorauszusagen. Es liegt auch wirklich etwas sehr schwieriges, geometrisches zugrunde, wie schon daraus ersichtlich, daß sehr gelehrte Herren dieser Seltsamkeit tiefgründige Abhandlungen gewidmet haben (so Dr. Dingeldey, im Verlag Teubner). Einstein hatte von diesen Schnittwundern noch niemals Notiz genommen, allein als ich anfing, derartige Streifen zu formen, zu kleben und zu schneiden, war er augenblicklich mitten im Problem und er sagte in der Sekunde an, welche abenteuerlichen Kettengebilde sich in jedem Fall entwickeln würden; mit einer topologischen Sicherheit, als hätte er sich wochenlang damit beschäftigt. Ein andermal kam ein räumliches mit der Bekleidung zusammenhängendes Abenteuer aufs Tapet: ist es für einen regulär
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