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Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Titel: Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
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der Journal-Huldigungen traten auch vereinzelte dissentierende, ja feindselige Stimmen auf. Einstein begegnete diesen nicht nur ohne Zorn, sondern mit einem gewissen Wohlwollen. Denn tatsächlich, es wurde ihm in der ununterbrochenen Ovation unbehaglich, und es lehnte sich in seiner Seele dagegen etwas auf, wie gegen einen Primadonna-Kultus. Und so tat es ihm förmlich wohl, wenn aus irgend einer Zeitungseckeirgend eine, wenn auch noch so unmotivierte, sachlich verfehlte Polemik losfuhr, bloß weil er doch endlich einmal in der ewigen Konsonanz eine dissonierende Stimme zu hören bekam. Gelegentlich sagte er sogar bezüglich eines schrill trompetenden Widersachers: »Der Mann hat ja ganz recht!« Und das kam ihm vom Munde, wie die natürlichste Sache von der Welt. Man muß ihn kennen, um diese Exzesse der Toleranz richtig zu verstehen. Auch Sokrates hat seine Gegner verteidigt.
    Wir kehrten im Gespräch zum Ausgangspunkt zurück, und ich fragte, ob es nicht ein Mittel gäbe, um dem Nichtfachmann die Strahlbiegung verständlich zu machen.
    Einstein erwiderte: In ganz oberflächlicher Andeutung ist dies allerdings möglich. Und indem er auf Papier einige Striche entwarf, die ich hier annähernd mit Worten nachzeichnen will, erläuterte er – ungefähr – folgendermaßen:
    Dieses Viereck bedeute den Querschnitt eines geschlossenen Kastens, den man sich irgendwo in der Welt befindlich vorstelle. In seinem Innern lebt ein Physiker, der Beobachtungen anstellt und daraus seine Schlüsse zieht. Er macht unter anderm die uns allen geläufige Wahrnehmung, daß jeder sich selbst überlassene, nicht unterstützte Körper, z. B. ein Stein, den er aus der Hand läßt, zu Boden fällt, und zwar mit konstanter Beschleunigung, das heißt mit stetiger Zunahme der Geschwindigkeit von oben nach unten. Wenn er sich diesen Vorgang erklären will, so stehen ihm zwei Wege offen.
    Erstens könnte er vermuten – und diese Annahme wird ihm am nächsten liegen –, daß sein Kasten auf einem Himmelskörper ruhe; denn in der Tat, wäre der Kasten ein Hohlraum einer irdischen Behausung, so böte das Fallen des Steines nichts Auffälliges, wäre vielmehr jedem Insassen selbstverständlich und also dem Physiker nach den Galileischen Fallgesetzen vollkommen erklärlich. Er brauchte aber dabei nicht ausschließlich an die Erde zu denken, denn wenn sich der Kasten auf einem andern Stern befände, so würde das Fallen gleichfalls auftreten, langsamer oder schneller, aber jedenfalls mit konstanter Beschleunigung des fallenden Körpers. Der Physiker könnte also sagen: hier liegt eine Gravitationswirkung vor, eine Erscheinung der Schwerkraft, die ich mir wie üblich durch die Massenanziehung eines Himmelskörpers erkläre.
    Er könnte aber zweitens noch auf einen andern Gedanken verfallen. Denn wir haben ja über den Ort des Kastens nicht das geringste ausgesagt und nichts anderes vorausgesetzt, als daßer sich »irgendwo in der Welt« befinden sollte. Der Physiker im Kasten könnte also folgende Überlegung anstellen:
    Gesetzt, ich befände mich hier weltenweit von jedem anziehenden Himmelskörper, gesetzt, eine Gravitation existierte gar nicht für mich und den Stein, den ich aus der Hand lasse, so könnte trotzdem das von mir beobachtete Phänomen vollkommen erklärt werden. Ich brauchte dann eben nur anzunehmen, daß der Kasten sich mit konstanter Beschleunigung »nach oben« bewegt. Die von mir als ein Fallen »nach unten« gedeutete Bewegung braucht gar nicht stattzufinden. Der Stein, als ein träger Körper , könnte in seiner Lage verharren und würde mir trotzdem, bei aufwärts beschleunigtem Kasten, genau dasselbe Verhalten zeigen, als fiele er mit zunehmender Geschwindigkeit abwärts.
    Da nun jener Physiker kein System, das ihm zur Orientierung dient, in seinem weltabgeschlossenen Kasten kein Mittel zur Verfügung hat, anderweitig festzustellen, ob er sich im Wirkungskreise eines attrahierenden Weltkörpers befindet oder nicht, so bleiben ihm tatsächlich beide Erklärungen offen, beide in gleicher Weise gültig, so daß es ihm unmöglich wird, eine Entscheidung zu treffen. Er kann die Beschleunigung so oder so auffassen, nach unten oder nach oben, in Relativität zu einander; ein prinzipieller Grund, der einen Auslegung den Vorzug zu geben, fehlt durchaus, da das Fallphänomen sich unverändert darstellt, ob man den fallenden Stein bei ruhendem Kasten oder den trägen Stein bei bewegtem Kasten annimmt; und dies läßt sich in

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