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Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Titel: Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
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man nicht auch diesen Vergleich Newtons als einen religiös gemeinten betrachten?
    Dem steht nichts im Wege, meinte Einstein, obschon es mir wahrscheinlicher ist, daß Newton damit nur den Standpunkt des reinen Naturforschers feststellte. Wesentlich wollte er nur die kleine Endlichkeit des Erreichbaren im Verhältnis zur Unendlichkeit des Forschungsgebietes ausdrücken. – –
    *
    Durch irgend ein unvermutetes Stichwort erfuhr das Gespräch hier eine Ablenkung, die ich nicht verschweigen möchte, da sie zu einer bemerkenswerten Äußerung Einsteins über das Wesen des Genies hinführte. Wir sprachen nämlich von der »Erblichkeit der Wissenschaftsbegabung« und von der relativen Seltenheit ihres Hervortretens. Eine wirkliche Dynastie von Größen scheint nur ein einziges Mal erkennbar zu werden: in den zehn Bernoullis, die einem Geschlecht von Mathematikern entstammt, Bedeutendes, teilweise Außerordentliches geleistet haben. Warum tritt diese als Ausnahme ohne Gegenstück auf? Denn bei anderen Beispielen wird man nicht über die Drei-, höchstens Vierzahl hinausgelangen, in einer Namensfamilie; auch wenn man Wissenschaft und Künste zusammenrechnet: zwei Plinius, zwei Galilei, zwei Herschel, zwei Humboldt, zwei Lippi, zwei Dumas, etliche Bachs, Pisanos, Robbias, Holbeins, – die Ausbeute bleibt höchst spärlich, selbst wenn man sich wirklich nur an die Namensgleichheit hält, von einer erkennbaren Dynastie kann abseits der zehn Bernoullis nirgends und niemals die Rede sein.* Also wäre wohl, so meinte ich, der Schluß gerechtfertigt, daß die Natur von einer Talent-Erblichkeit nichts weiß, und daß der Zufall seine Hand im Spiele hatte, wo wir etwa so ein Ausstrahlen der Begabung in einer Familie wahrnehmen.
    * Die römische Familie der Cosmaten (13. Jahrhundert), die für Architektur und Mosaik sieben tüchtige Vertreter gestellt hat, kommt wohl in diesem Zusammenhang kaum in Betracht, da die Kunstgeschichte keinen von ihnen als eigentlich genial feiert.
    Dem widersprach aber Einstein ganz entschieden: »Sicherlich kommt die Talent-Erblichkeit in sehr vielen Fällen vor, wo wir sie nicht bemerken; denn das Genie an sich und die Erkennbarkeit des Genies fallen durchaus nicht zusammen. Zwischen dem Genie, wie es sich in genialer Leistung kundgibt, und dem latenten Genie bestehen nur minimale Unterschiede. Dem latenten Genie fehlte vielleicht nur in irgend einer Sekunde irgend ein Antrieb, um mit aller Deutlichkeit hervorzubrechen; oder ihm fehlte zur Betätigung der Anlage die besondere, in der Wissenschaftsentwicklung seltene Situation. Und so bleibt es im Dunkeln, während es bei einer minimalen Änderung der Geschehnisse zur sichtbaren Leistung herausgetreten wäre.«
    »Beiläufig möchte ich bemerken: wenn eben zuvor die beiden Humboldt genannt wurden, so möchte ich wenigstens den Alexander von Humboldt nicht den Genies beizählen. Wiederholt ist es mir aufgefallen, daß Sie diesen Namen mit besonderer Ehrfurcht nennen – – –«
    Und mir ebenso wiederholt, daß Sie, Herr Professor, sanft abwinkten. Es sind mir auch deshalb schon leise Zweifel aufgestiegen. Aber man kommt nur schwer von Größenordnungen los, die man seit Jahrzehnten in sich herumträgt. In meiner Jugend sagte man »ein Humboldt«, so wie man sagt »ein Cäsar«, »ein Michelangelo«, um überhaupt einen unüberbietbaren Gipfelpunkt zu bezeichnen. Für mich selbst war seinerzeit Humboldts Kosmos die naturkundliche Bibel, und solche Erinnerungen mögen bis zu einem gewissen Grade nachwirken.
    Sehr erklärlich, sagte Einstein. Nur muß man sich vorhalten, daß Humboldt für uns Heutige, wenn wir den Blick auf die großen Erkenner richten, kaum noch in Betracht kommt. Sagen wir deutlicher: er gehört nicht in diese Linie. Bestehen lasse ich sein enormes Wissen und seine bewundernswerte, an Goethe erinnernde Einfühlung in das Naturganze.
    Ja, dieses kosmische Gefühl hatte mich wohl überwältigt. Und ich freue mich, daß Sie ihn hierin mit Goethe in Parallele setzen. Ich denke da an die Heinesche Erklärung: Wenn Gott die Welt erschaffen hätte bis auf die Bäume und Vögel, und hätte zu ihm gesagt: Lieber Goethe, ich überlasse es Ihnen, das Fehlende zu vollenden, so hätte Goethe diese Aufgabe sicher ganz korrekt und göttlich gelöst, nämlich die Bäume grün und die Vögel mit Federn erschaffen.
    Das wäre auch dem Humboldt zuzutrauen gewesen. Aber derartigen poetisch-spielerischen Betrachtungen läßt sich mancherlei entgegenhalten

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