Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
Gastwirtsfamilie; – aus dem Kreise um Goethe war der von Nietzsche so hoch verehrte Jung-Stilling Schneiderlehrling gewesen, Eckermann, Goethes Intimus, Schweinehirt, Zelter ein Maurer. Lang könnten wir die Liste fortsetzen und noch länger, wenn wir sie nach rückwärts verfolgten bis zu Euripides, dessen Vater ein Schenkwirt, dessen Mutter Gemüsehändlerin war. Mancherlei Betrachtungen ließen sich daran knüpfen über »Aufstieg der Begabten« und auch über die Kehrseite der Sache. Denn man könnte, anscheinend paradox, die Frage aufstellen, ob denn der Aufstieg sehr vieler oder aller Begabten wirklich eine Kulturnotwendigkeit sei; ob es sich nicht vielmehr empfehle, eine mit Talenten durchsetzte Unterschicht, eine Humusschichtzu bewahren, als dauernden Nährboden für die blühenden Gewächse der oberen Lage.
Optimum und Maximum ist tatsächlich nicht dasselbe, und wir erfahren ja an anderer Stelle, daß Einstein selbst weit entfernt davon ist, diese beiden Superlative gleichzusetzen. Damals handelte es sich um das Bevölkerungsproblem, und in der Erörterung ließ er einfließen, daß wir einem alten Betrachtungsfehler unterliegen, wenn wir durchweg die Höchstzahl der auf der Erde vegetierenden Menschen für das Erstrebenswerte halten. Es scheint sogar, daß die Korrektur dieses Denkfehlers bereits auf dem Wege ist. Wir stehen am Anfang neugegründeter, sehr rühriger Organisationen und Verbände, die eine Minderung der Zahl propagieren, um der verkleinerten Menschenmenge das Optimum erreichbar zu machen.
Verlängert man die Linie dieser Erwägung, so gerät man allerdings an die unheimliche Frage, ob nicht auch für die Emporhebung der Talente ein Zuviel eintreten könnte, nicht bloß durch eine planmäßige Züchtung, sondern schon durch Begünstigung der großen Anzahl. Es wäre immerhin möglich, daß wir dabei den Schaden übersehen, nicht genügend würdigen, der dadurch der Unterschicht zugefügt wird; daß wir sie von Kräften entblößen, die nach der Ökonomie der Natur im Verborgenen bleiben und dort wirken sollen.
Die so umschriebene Befürchtung wird von Einstein nicht geteilt. So schroff er auch die Züchtung ablehnt, der Begünstigung redet er das Wort. Ich glaube, so sagte er, daß eine sinngemäß betriebene Pflege der Allgemeinheit nützt und das Unrecht am Einzelnen verhütet. In den großen Städten mit ihren an sich so reichen Bildungsmöglichkeiten wird dieses Unrecht seltener zu Tage treten; desto häufiger aber auf dem flachen Land. Sicher wächst dort so mancher Begabte auf, der, wenn rechtzeitig erkannt, bedeutend werden könnte; der aber mit seinen Talenten verkümmert, ja zugrunde geht, wenn das Prinzip der Auslese gar nicht bis in seine Kreise dringt.
Damit gelangen wir an den schwierigsten und gefährlichsten Punkt. Die Verantwortlichkeit pocht an die Tore der Gesellschaft und hämmert ihr die Pflicht ein, dem möglicherweise vorhandenen Talent kein Unrecht zuzufügen. Und von dieser Pflicht ist nur ein kleiner Schritt bis zu der Forderung, dem Talent alle Lebensmühsal abzunehmen; denn, so argumentiert die Moral: das Talent wird um so sicherer seiner Vollendung entgegenreifen, je weniger es sich mit der Sorge des Tages auseinanderzusetzen hat.
Aber diese moralisch so einleuchtende These wird empirisch niemals zu erweisen sein. Im Gegenteil haben wir Grund zu der Annahme, daß die Not, die Mutter der Erfindungen im Großen und Ganzen, auch beim Einzeltalent häufig genug als die Mutter seiner besten Hervorbringungen auftritt. Ein Goethe brauchte das gesicherte Wohlleben, ein Schiller, der nicht aus der Misere herauskam, der sich bis zur Don Carlos-Zeit noch nicht einmal einen Schreibtisch erschreiben konnte, brauchte die Qual zur Entfaltung. Jean Paul hat diese Segnung der Düsternis erkannt und sie ins Licht gerückt, als er in seinen Romanen die Armut verherrlichte. Und Hebbel folgt ihm auf diesem Wege mit der Ansage, es sei ein besserer Zustand, wenn dem Begabtesten das Notwendige versagt, als wenn es dem Unbegabten gewährt wird. Diese Gewährung muß aber oft genug eintreten, wenn das Prinzip der Auslese siegt. Denn unter hundert in Sichtung Auserlesenen wird sich durchschnittlich nur einer befinden, der noch in der Prüfung durch die Nachwelt mit dem Zeugnis der Auserwähltheit davon kommt. Die Nachwelt siebt nach ganz anderen Methoden, als ein Kollegium von Revisoren, das auf präparierte Fragen schlagkräftige Antworten erwartet.
Das ergibt eine schlimme
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