Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
Antinomie, aus der wir uns kaum herauszuwickeln vermögen. Das Pflichtgefühl findet für das Optimum nur den einen Ausdruck in der maximalen Hilfe und überhört die Einrede des Verstandes, daß die Natur für ihre Zweckmäßigkeiten auch rauhere Mittel in Bereitschaft hält; in ihrer eigenen selektiven Grausamkeit bewahrheitet sie oft genug den Spruch des Menander: »ho me dareis anthropos ou paideuetai« – sehr frei übersetzt: »das Sichabschinden gehört mit zur Erziehung der Menschen«. Wenn Einstein – mit gewissen Einschränkungen – der hilfreichen Auslese das Wort redet, so erkenne ich darin, wie in so vielem anderen, das Zeichen einer gütigen Menschenliebe, die sein Herz allen Relativitäten zum Trotz, als ein Absolutes erfüllt.
Der Entdecker
Entdeckung und Weltanschauung in zeitlicher Beziehung. – Absolutes und Relatives. – Der schöpferische Akt. – Wert der Intuition. – Die Tätigkeit des Konstruierens. – Die Erfindung. – Der Künstler als Entdecker. – Lehre und Beweis. – Klassische Experimente. – Physik der Urzeit. – Experimentum crucis. – Spektral-Analyse und Periodisches System. – Die Mitwirkung des Zufalls. – Widerlegte Erwartung. – Das Michelson-Experiment und der neue Zeitbegriff.
Das nächste Mal – so hatte eine Unterredung geschlossen – das nächste Mal, wenn Sie darauf bestehen, soll von Entdeckungen im allgemeinen die Rede sein. Das war mir eine besondere Verheißung. Denn hier galt es, einem Urquell der Belehrung nahezukommen, Aussprüche erfahren, über die hinaus man eine höhere Instanz wohl nicht aufzusuchen braucht.
Es ist uns verschlossen, einen Galilei über die Grundlagen der Mechanik mündlich zu befragen, einen Kolumbus über die inneren Vorgänge eines Seefahrers vor einer großen Landauffindung, einen Sebastian Bach über die Wertung des Kontrapunktes. Aber ein großer Entdecker lebt unter den Zeitgenossen, der uns Aufschluß geben will über das Wesen der Entdeckung selbst. Hätte ich nicht die Bedeutsamkeit verspüren sollen, die in dieser Zusage lag?
Ich wurde schon vorher von Betrachtungen überstürmt, die in mir aufbrachen, sobald sich nur das Stichwort »Entdeckung« anmeldete. Es gibt, so schien mir, nichts höheres; der Menschheit Einlagerung im Kreise des Erschaffenen, die Summe seiner Erkenntnisse kann abgeleitet werden aus der Summe der Entdeckungen , die in den Begriffen Kultur und Weltanschauung gipfelt, wie sie selbst durch die Weltanschauungen mitbedingt werden. Man könnte fragen: was geht vorher, was folgt nach? Und vielleicht könnte man schon in dem Doppelsinn dieser Frage den Keim der Beantwortung finden. Denn im letzten Grunde darf man die zwei Elemente gar nicht nach Ursache und Wirkung, nach Grund und Folge auseinanderspalten.
Keines ist primär, keines sekundär: sie sind auf das innigste verwoben, bieten nur verschiedene Aussichten ein und desselbenGeschehens; An der Wurzel dieses Geschehens liegt der grundsätzliche Glaube an die Begreiflichkeit der Welt, der unerschütterliche, als elementarer Naturtrieb durchgreifende Wille aller denkenden Menschen, die wahrnehmbaren Vorgänge im Universum in Übereinstimmung zu bringen mit den inneren Vorgängen im Denken selbst. Ewig bleibt dieser Trieb, verschieden und dem Zeitwechsel unterworfen gestaltet sich nur die Form der Versuche, die Begreiflichkeit der Welt für uns zu vollenden. Die Versuchsform findet ihren Ausdruck in der jeweiligen Weltanschauung, die jede Entdeckung reifen lässt, wie sie selbst schon Bestandteile der reifen Entdeckung in sich trägt.
Schon auf diesem Punkte der Betrachtung glaubte ich einer Deutung der Einsteinschen Geistestat nahe zu sein. Sein Relativitätsprinzip entspricht ja tatsächlich einem regulativen Weltprinzip, das sich uns im Weltgeschehen mächtig genug eingebohrt hat. Wir haben das Ende des Absolutismus erlebt, die Maße der Machtfaktoren haben uns die Relativität, ihre Veränderlichkeit nach Standpunkt und Bewegung erwiesen, mit einer Entschiedenheit, an die kein Erlebnis früherer Geschichtsperioden heranreicht. Die Welt war in ihrer Anschauung reif geworden für eine abschließende Gedankenleistung, die das Absolute auch physikalisch-mathematisch, also restlos vernichtete. So zeigte sich Einsteins Entdeckung im Lichte der Notwendigkeit.
Ein leiser Zweifel befiel mich trotzdem. Einsteins Entdeckungen traten im Jahre 1905 hervor, als von den Stürmen, die seither in der Welt den Absolutismus entwurzeln sollten, kaum noch
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