Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
Charakter zuzuweisen, so verkündete er nur als beredtsamer Lautsprecher, was eine noch unfertige neue Weltanschauung im Stillen mit sich herumgetragen hatte. Bergson hat da nichts »entdeckt«, er wie die Anschauung haben nur hindurchgefühlt in ein neues Feld der Erkenntnis, dass die wirkliche Entdeckung reif und fällig war. Und tatsächlich wurde diese in unseren Tagen geliefert von dem hervorragenden Physiker Max Planck , dem Träger des Nobelpreises von 1919, in seiner »Quantentheorie« . Nicht so zu verstehen, dass nunmehr eine gärende Weltanschauung und eine Errungenschaft der strengen Forschung restlos ineinander aufgingen; aber doch insoweit, als hier mit dem Rüstzeug der exakten Wissenschaft ein unstetiger, sprunghafter Ablauf, eine atomistische Struktur nachgewiesen wurde in Energien, für welche die landläufige Anschauung vordem eine ganz ebenmäßige, unabgeteilte Ausstrahlung verlangte. Hier lag wohl kein zufälliges Zusammentreffen neuphilosophischer Anschauung und physikalischer Begründung vor, sondern ein Erfordernis der Zeit, in der sich ein neues Denkprinzip zur Geltung durchringen will.
Schwieriger ist es, wie schon angedeutet, von Einsteins Entdeckungen zu vorausgehenden relativistischen Ahnungen die Brücke zu schlagen. Denn mit der bloßen Berufung auf den Niedergang des Absolutismus in der Welt menschlicher Geschehnisse kommen wir da nicht aus. Bei Einstein erlebten wir ein so ungeheures Vorstürmen der Gedanken eines Einzelnen, dass man beinahe im Sinne der Quantentheorie an eine Unstetigkeit imAblauf der geistigen Weltgeschichte glauben muss. Und doch sind die inneren Fäden, die Einsteins Tat mit vorausahnender Anschauung verknüpften, sicher vorhanden. Nur dass man hier auf Jahrhunderte verteilen muss, was sich bei anderen Entdeckungen schon im Vergleich nach Jahrzehnten als Parallelerscheinung ergeben kann. Jener Faustische, in der Brust der Denkenden wühlende Zweifel, »ob es auch in jenen Sphären ein Oben oder Unten gibt« – er reicht bis zu Pyrrhon und Protagoras –, ist bereits relativistisch, ist der Zweifel an der Gültigkeit des durch den eigenen Lebensmittelpunkt gelegten Koordinatensystems. Hier handelt es sich im letzten Grunde um Standpunktsäußerungen, und die mathematisch-physikalischen Ausfolgerungen der unendlichen Fragen, der Beziehung, die sich aus dem »Oben-Unten« entspinnen, führt ja wohl zur neuen Erfassung der Weltkonstitution. für welche Einsteins Schaffen den erlösenden Ausdruck in abstrakter Sprache gefunden hat. Und von hier wird sich in weiterer Wechselwirkung ein neuer Strom der Erkenntnis in vernebelte Gelände der Philosophie ergießen. Reform an Haupt und Gliedern unserer Weltanschauung scheint unabwendlich, Reform zumal an den Vorstellungen von Raum und Zeit, vielleicht sogar Reform der Begriffe von der Unendlichkeit und von der Kausalität. Viel Schutt wird abzuräumen sein aus alten Denkkategorien und Weltweisheiten, die einst zum Baustoff schöner Gebäude gehörten. Wie die schöneren aussehen werden, die auf physikalischen Befehl an deren Stelle treten müssen? Wer wollte sich heute getrauen, das zu ermessen?
Vieles wird wanken, und es könnte sich ereignen, daß selbst das trotzige »Ignorabimus«, der Gegenpol der Wahrheitsforschung von Pyrrhon bis Dubois, aus seiner Verzichtstellung heraustreten wird. Denn der verzweifelnden Unsicherheit gegenüber besteht die eine Gewißheit: Das Unbegreifliche wird mehr und mehr eingekreist durch die großen Entdecker! Und wenn auch der absolute Konvergenzpunkt nie zu erreichen ist, so ergibt sich ein anderer Punkt als greifbar ruhender Pol in flutender Weltanschauung: ein moralischer Pol, umkreist von Strömungen des Glücksgefühls. Im Mittelpunkt dieser Weltanschauung steht der erhebende Glaube an einen Erkenntnisfortschritt trotz alledem, an das Verschwinden uralter Rätsel und Schwierigkeiten unter dem Sturm der Entdeckungen. Und wenn sich danach und daneben immer neue Rätsel und Schwierigkeiten auftun, so vermögen diese das Siegesgefühl nicht abzudämpfen. Jede Tat auf diesem Felde wirkt wie eine Befreiung von Vorurteilen, nicht zum wenigsten auch von Engherzigkeiten der Gesinnung zwischen denVölkern. Die Entdecker konstruieren nicht nur Gedankenbrücken, die in Siriusfernen reichen, sondern, was schwerer, sie bauen Gefühlsbrücken, die politische Hemmungen überspannen. Jeder Denkende, der teilnimmt an großer Entdeckung, der sich erschauernd beugt vor neuer Geistestat, nähert sich
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