Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
wurzelnd, wird Feinheiten des Gefühls zu Tage treten lassen, die uns Männern unerreichbar bleiben, während die stärksten Leistungen des Verstandes vielleicht von einem Überschuß der Gehirnsubstanz abhängen. Ein solches Plus über das Normalmaß gibt die Anwartschaft zu den großen Entdeckungen, Erfindungen und Schöpfungen. Man kann sich einen weiblichen Galilei, Kepler, Descartes ebensowenig vorstellen, wie einen weiblichen Michelangelo oder Sebastian Bach. Denkt man aber an solche Extremfälle, so steige vor uns auch die Gegenrechnung auf: eine Frau vermochte nicht die Differentialrechnung, wohl aber den Leibniz zu schaffen; nicht die Kritik der reinen Vernunft zu erzeugen, wohl aber den Kant. Die Frau, als die Verfasserin aller Geistesgrößen, hat zum mindesten Anrecht auf alle Bildungsmittel, auf alle Förderung im Bereich der Hochschule. Und in dieser Hinsicht hat ja auch Einstein seinen Willen klar genug ausgesprochen.
* * *
Zu den meisterörterten Themen der Neuzeit im Kreise der Schulfragen gehört: »die Begabten-Auslese« . Es hat sich zu einem Prinzip ausgewachsen, das von der großen Mehrheit als gültig anerkannt wird, und im wesentlichen nur über das Mehr oder Minder eine Debatte zuläßt.
Der durchgreifende Gedanke ist der aus der Darwinschen Selektionstheorie abgeleitete: Der Mensch vervollständigt die Methode der auswählenden Natur; er sichtet und siebt, läßt die besser beanlagten rascher und deutlicher hervortreten, begünstigt sie im Fortkommen und erleichtert ihnen den Aufstieg.
Dieses Prinzip hat eigentlich schon immer bestanden, angefangen von der Preisverteilung im alten Olympia bis zu sämtlichen Prüfungen, die ja offensichtlich auf eine Begabtenauslese hinauswollen. Seine verschärfte Handhabung mit durchreglementierter Talentsuche blieb der Gegenwart vorbehalten. Es war mir kaum zweifelhaft, wie Einstein sich zu dieser Angelegenheit stellen würde. Ich hatte schon kräftige Wortevon ihm gegen das Examenwesen vernommen und kannte seine Vorliebe für freie Auswirkung im natürlichen Spiel der Kräfte.
Tatsächlich erklärte mir Einstein, daß er von einer quasi sportmäßig gehandhabten Begabtenzüchtung nichts wissen wolle. Die Gefahr des Sportbetriebs läge hier nahe und müsse zu Schein- und Fehlresultaten führen. Für möglich hält er es indes, diese Auslese in minder hitziger Weise durchzuführen. Die Summe der vorliegenden Erfahrungen gestatte noch keinen Endspruch. Denkbar sei es jedenfalls, daß eine sinnvoll betriebene Auslese der Erziehung im allgemeinen zum Nutzen gereichen könne; wesentlich insofern, als manche Begabung, die sonst im Schatten verkümmern müßte, nunmehr Aussicht gewänne, zum Licht emporgezogen zu werden.
Hieraus entspann sich eine beziehungsvolle Unterredung, deren Hauptmotive ich hier mitteilen möchte. Sie sollen vornehmlich den Typus des Sportmäßigen verdeutlichen, der Einstein verwirft, und dessen Gefährlichkeit mir noch um einige Grade drohender erscheint, als ihm.
Ginge es nach gewissen Gewaltpädagogen, so könnten oder müßten die »Höchstbegabten« in einem wahren Sturmtempo die Schule durchsausen und in einem Alter, in dem die Genossen noch in den Mittelklassen die Hosen durchsitzen, zu allen akademischen Sprossen aufrücken. Möglich ist ja alles, und die Geschichte liefert sogar Beispiele für das Vorkommen solcher Gewaltmärsche. Luthers Freund Melanchthon konnte mit 13 Jahren die Universität Heidelberg beziehen und wurde mit 17 Jahren Magister in Tübingen, wo er über die höchsten Probleme der Philosophie, sowie über römische und griechische Klassiker Vorlesungen hielt. Diese vereinzelte Laufbahn braucht bloß verallgemeinert zu werden, und das neue Ideal steht fertig vor unsern staunenden Augen: ein Professorengeschlecht von Jünglingen, denen noch kaum der erste Flaum auf den Lippen sprießt. Es kommt nur darauf an, die Höchstbegabten durchweg zu entdecken und dann das Klettergerüst für die genialen Grünschnäbel möglichst praktisch in der Schule aufzubauen.
[Zwischenbemerkung und Zwischenfrage: Wo sitzen eigentlich die Talentfinder und wie beweisen sie ihre eigene Begabung? Sie hätten dazu Gelegenheit gehabt in einem Fall, den ich erwähnen will. Einstein erzählte mir in anderem Zusammenhange, er habe schon 1907, also sehr jung an Jahren, einen der Hauptpunkte des Allgemeinen Relativitätsprinzips, die »Äquivalenz«, nicht nur fertig dargestellt, sondern sogar veröffentlicht, ohne daß es auf die
Weitere Kostenlose Bücher