Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
der politischen Universalreligion, dem Glauben an den Völkerbund des Geistes. Dass sich eine Einheit anbahnen muß in den Anschauungen hüben und drüben, und dass jede große Entdeckung an diesem Werk mithilft, – das ist der Kern einer Weltanschauung, der die Zukunft gehört.
Wenn nach Pascals wundervollem Wort das menschliche Wissen eine Kugel darstellt, die in dauerndem Wachsen begriffen ihre Berührungspunkte mit dem Unbekannten vermehrt, so knüpft sich an diese Ansage kein Verzagen. Nicht die Vergrößerung des Unbekannten, einzig die des Wissens rührt mit ethischer Gewalt an unsere Empfindung. Das Positive äußert sich uns als eine lebendige Kraft, aus dem Bewußtsein heraus, dass die Wissenskugel zum Wachsen bestimmt ist, und dass es für alle geistigen Energien keinen höheren Befehl gibt, als den Ruf zur vereinigten, zur welteinigenden Mitarbeit an diesem Wachstum.
Solcher Betrachtungen voll, betrat ich das Heim des großen Entdeckers, dessen Wirken mir unausgesetzt als Paradigma vorschwebte. Ich fand ihn, wie fast stets, vor losen Papierblättern, die sich unter seiner Hand mit mathematischen Zeichen bedeckt hatten, mit Runen jener Weltsprache, in denen, nach Galilei, das große Buch der Natur abgefaßt ist.
Wie anders stellt sich mancher Fernstehende die Arbeitsweise eines Himmelsforschers vor! Man denkt sich ihn wie einen Tycho Brahe von seltsamen Apparaten umgeben in einem Kuppelbau, mit dem Forscherauge am Okular eines durchdringenden Refraktors in das Weltall spähend, dem er die letzten Geheimnisse ablauscht. Das wirkliche Bild entspricht dieser Vorstellung nicht im mindesten. Nichts gemahnt in der Aufmachung des Raumes an transterrestrische Erhabenheit, keine instrumentale noch bibliothekarische Fülle tritt uns entgegen, und man wird bald inne, dass hier ein Denker waltet, der zu seiner weltumspannenden Arbeit nichts anderes braucht, als seinen eigenen Kopf, allenfalls noch ein Blättchen Papier und einen Schreibstift. Was da draußen die Institute der Sternwarten bewegt, was zu großen wissenschaftlichen Expeditionen Anlass gibt, ja, was in letztem Betracht die Beziehung der Menschheit zur Verfassung des Universums reguliert, die Revolution in der Erkenntnis der Dinge zwischen Himmel und Erde, all das vereinigt sich hier in der schlichten Erscheinungeines jugendlichen Gelehrten, der aus seines Gehirnes Rocken unendliche Fäden herausspinnt. Und ein Dichterwort steigt vor uns auf, das an alle gerichtet, unter den Lebenden von Einem, im tiefsten Grunde erfüllt wurde:
Wo du auch wandelst im Raum, es knüpft dein Zenith und Nadir
An den Himmel dich an, dich an die Achse der Welt.
Wie du auch handelst in dir, es berühre den Himmel der Wille,
Durch die Achse der Welt gehe die Richtung der Tat!
Dieser eine hier hat es mitverwirklicht, dessen Gedankengang ich unterbreche, um mit der Frage anzuklopfen: Was ist und was bedeutet »Entdeckung«?
Eine durchaus begriffliche Frage, die manchem vielleicht als inhaltlich leer vorkommen mag. Der Herr Jedermann sagt sich, so gut er es vermag, die Liste der Entdeckungen her und meint: Entdeckung ist, wenn einer etwas Wichtiges findet, die Fallgesetze, oder die Entstehung des Regenbogens, oder die Abstammung der Arten; und etwas Allgemeines ließe sich höchstens darin finden, dass man der Entdeckung etwas Hochgeistiges, Schöpferisches zuschriebe.
Ich war nun zuerst geradezu verblüfft, als ich von Einstein die Worte hörte: »Der Ausdruck ›Entdeckung‹ an sich muss bemängelt werden. Denn Entdeckung ist gleich dem Gewahrwerden einer Sache, die schon an sich fertig vorgebildet vorliegt: damit verknüpft ist der Beweis, der schon nicht mehr den Charakter der ›Entdeckung‹ trägt, sondern eventuell des Mittels, das zur Entdeckung führt.« Und hieraus erfloss bei Einstein die zuerst blank hingestellte, später am Beispiel genau erörterte Ansage: »Entdeckung ist eigentlich kein schöpferischer Akt!«
Für- und Gegenargumente schossen mir durch den Kopf, und ich mußte an einen Großmeister der Tonkunst denken, der einstmals auf die Frage »Was ist Genie?« antwortete: Genie ist, wenn einem etwas einfällt. Die Parallele wäre noch weiter durchführbar, denn ich habe tatsächlich von Einstein wiederholt als »Einfälle« bezeichnen hören, was wir andern als Denkwunder betrachten. Spricht doch auch der Philosoph Fritz Mauthner von der Entdeckung der Gravitation als von einem »Aperçu« des Newton; ja, von den »Aperçus« der altgriechischen
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