Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
dem Gesichtspunkt der Kausalität , indem wir stets von einem zu einer bestimmten Zeit bekannten Zustand ausgehen, also indem wir durch die Weltvorgänge einen Zeitschnitt legen, etwa den Gegenwarts-Schnitt. Allein, ich glaube, so ergänzte er mit feierlichem Nachdruck, »daß die Naturgesetze, das Geschehen in der Natur, einen viel höheren Grad von gesetzlicher Gebundenheit zu zeigen scheinen, als in der so ausgesprochenen Kausalität liegt!Zur Aufstellung dieser Möglichkeit liegen für mich mehrere Anlässe vor, besonders gewisse Betrachtungen, die sich an die Planck'sche Quantentheorie knüpfen. Möglich wäre folgendes: Das zu einem bestimmten Zeitschnitt Gehörende könnte an sich noch ganz gesetzlos sein; das will sagen: es könnten darin alle physikalischen Denkbarkeiten verwirklicht sein, auch solche« (so verstand ich), »die wir im üblichen physikalischen Denken für nicht verwirklichbar halten; zum Beispiel: Elektronen von beliebiger Größe, von beliebigen Ladungen, Eisen von beliebigem spezifischem Gewicht usw. Durch die Kausalität haben wir unser Denken eingestellt auf eine geringere Stufe der gesetzlichen Beschränkungen, als sie in der Natur verwirklicht erscheinen. Die wirkliche Natur ist viel beschränkter, als unsere Gesetze es zulassen. Um ein Gleichnis zu gebrauchen: wenn wir die Natur wie ein Gedicht auffassen, so ähneln wir etwa einem Kinde, das wohl den Reim entdeckt, aber nicht die Prosodie, den Rhythmus.« Ich verstehe: es ahnt nicht die Zwänge, denen das Gedicht unterworfen ist, und ebensowenig ahnen wir – am Leitseil der Kausalität – die Zwänge, denen die Natur die Vorgänge und Zustände unterwirft, selbst wenn wir sie schon als naturgesetzlich geregelt ansehen.
Sonach würde eine Hauptaufgabe zukünftiger Wissenschaft darin bestehen: die Bindungen der Natur gegenüber der scheinbar naturgesetzlichen Kausalität aufzufinden.
Wir haben hier ein Beispiel für die transzendenten Perspektiven, die sich erschließen, wenn man sich mit Einstein auf die Wanderung begibt. Tatsächlich handelt es sich hier um letzte Dinge, um ein Gebiet vorläufig unausdenklicher Entdeckungen, und es mag fraglich erscheinen, ob die hier verborgenen Probleme der exakten Naturforschung allein, oder vielmehr auch der spekulativen Erkenntnistheorie zuzuweisen sind.
Zunächst scheint Einsteins Ansage auf nichts geringeres hinzuzielen, als auf eine Revision des Kausalitätsbegriffes überhaupt. Soviel auch schon geschehen ist, um diesen Begriff zu filtrieren, zu läutern, – vielleicht öffnet sich hier die Möglichkeit einer neuen Läuterungsprobe durch eine Synthese naturwissenschaftlicher und abstrakt philosophischer Einsichten. Nur andeutungsweise und in losester Annäherung an irgendwelche Wahrheitserschließung möge hier die Möglichkeit solcher Synthese gestreift werden. Wer jene Worte Einsteins erlebt hat, der fühlt eben das Bedürfnis, in den wildflutenden, durch sie ausgelösten Gedankenstrom wenigstens auf Sekunden einen Halt zu gewinnen.
Was ist Kausalität? Man könnte auf physiologisch sagen:das ist der unzähmbare, animalische, in Gehirnzellen eingelagerte Trieb, die erlebten und vorgestellten Geschehnisse miteinander zu verknüpfen. Wenn der Dichter den Hunger und die Liebe als die Grundfaktoren des Weltgetriebes definiert, so braucht man jenen nur noch auf den Kausalitätshunger auszudehnen, um das Register der Urtriebe zu vervollständigen. Denn dieser Hunger tritt nicht minder stürmisch auf, als der leibliche, und übertrifft ihn dadurch, daß er uns nicht einen Augenblick losläßt. Der Körper kann eher das Atemziehen einhalten, als die Seele die Frage nach dem Warum und Weil, nach Ursache und Wirkung, nach Grund und Folge.
Dies unablässige Suchen nach einer Verknüpfung der Geschehnisse hat sich in uns zu einer festen, absolut unerschütterlichen Denkform organisiert, die mysteriös bleibt, selbst wenn wir vermeinen, alles Mysteriöse aus ihr ausgeschaltet zu haben. Der Natur selbst sind die von uns gesuchten und vermeintlich elementar begriffenen Beziehungen gänzlich fremd. David Hume , der erste wirkliche und allertiefste Erforscher dieser Denkform, hat gesagt, daß in der gesamten Natur nicht ein einziger Fall von Verknüpfung erscheint, den wir zu erfassen vermögen. Alle Geschehnisse treten in der Wirklichkeit lose und getrennt auf. Eines »folgt« nur immer auf das andre, niemals aber können wir irgend ein Band zwischen ihnen beobachten. Sie erscheinen »zusammen«
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