Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Titel: Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
Vom Netzwerk:
hat. Wie man ja von ihm nicht loskommt, wo immer man Dinge berührt, deren vorläufig letzte Erkenntnis durch Annäherung gewonnen werden.
    Jean Perrin , der Verfasser des berühmten Buches »Die Atome«, beschreibt in seiner Einleitung den Zusammenhang jener mathematischen Abenteuerlichkeit mit sichtbaren, durch das Experiment darzustellenden Ergebnissen, zu denen das Studium gewisser milchig-trüber (kolloidaler) Flüssigkeiten geführt hat.
    Man beobachtet z. B. eine jener weißen Flocken, die man erhält, wenn man Seifenwasser mit Kochsalz versetzt. Deren Oberfläche erscheint zunächst scharf begrenzt, allein, je mehr man sich nähert, desto mehr verschwindet die Umrißschärfe. Das Auge ist nicht mehr imstande, eine Tangente an einen Oberflächenpunkt zu legen: eine Gerade, die bei oberflächlicher Betrachtung tangential zu verlaufen scheint, könnte bei näherer Prüfung ebensogutschräg oder senkrecht zur Oberfläche stehen. Kein Mikroskop beseitigt diese Unsicherheit. Im Gegenteil, jedesmal, wenn man die Vergrößerung steigert, sieht man neue Unebenheiten hervortreten, ohne daß man jemals zum Anblick irgendwelcher Stetigkeit gelangt. Solch eine Flocke gibt uns die Vorstellung von dem allgemeinen Begriff der Funktion ohne Differentialquotienten. Wenn wir mit Hilfe des Mikroskops die sogenannte »Brown'sche Bewegung« verfolgen, die auf einem molekularen Vorgang beruht, so verliert sich der Begriff einer Kurve mit Tangente, und für den Beobachter bleibt nur die Vorstellung der Funktion ohne Differentialquotienten ... Schließlich muß man die Hoffnung aufgeben, beim Studium der Materie überhaupt Homogenität zu entdecken; sie zeigt sich, je tiefer man in ihre Natur dringt, als schwammartig, unendlich zusammengesetzt, und alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß jede noch schärfere Beobachtung nur noch mehr Diskontinuitäten enthüllen wird.
    Mir selbst ist bis heute nicht die Gelegenheit geworden, jene »Brown'schen Bewegungen« unter dem Mikroskop zu sehen. Ich möchte aber erwähnen, daß mir Einstein wiederholt mit einer wahren Begeisterung von ihnen erzählt hat, mit einer sozusagen objektiven Begeisterung, denn er verriet dabei nicht mit einem Blick und einer Silbe, daß gerade er Arbeiten geliefert hat, die in der Geschichte der Molekulartheorie Gesetzeskraft erlangt haben.
    Sobald wir uns aber an die molekularen Unstetigkeiten heranwagen, erkennen wir, daß wir uns zuvor bei der Besprechung der »Annäherung« in Bestimmung der Erdfigur noch sehr weit von der vorstellbaren Grenze entfernt hielten. Wir hatten die drei Stufen aufgestellt: Ebene – Kugel – Rotationsellipsoid, als relative geometrische Fortschritte, jenseits deren noch weitere geometrische Annäherungen liegen müssen. Denkt man sich selbst alle Niveauunterschiede in Gebirg und Tal als getilgt, stellt man sich die Erdoberfläche als Flüssigkeit vor, die von keinem Windhauch gekräuselt wird, so bedeutet das Ellipsoid durchaus noch nicht die letzte Beschreibung. Denn nunmehr beginnen die Diskontinuitäten von Molekül zu Molekül, die Unendlichkeiten der Gebilde ohne Tangente, die Erscheinungen im Großen, die uns jene weiße Flocke im Seifenwasser mikroskopisch zeigt, und keine jemals denkbare Geometrie wird ausreichen, um sie zu erfassen. Eine Unvollendbarkeit von Funktionen, die sich weder in Worten noch in symbolischen Ausdrücken der Analysis wird beschreiben lassen.
    Wenn sich aber auch die letzte geometrische Wahrheit hinter den Schleiern der Maja verbirgt, so verbleibt uns doch der Trost,daß die Methode der Annäherung selbst bei relativ bescheidenem Ausmaß in Zahlen Erstaunliches zu leisten vermag. Betrachten wir zu diesem Zweck einmal die einfache Figur des Kreises in seinem Verhältnis von Umring zum Durchmesser.
    Dieses Verhältnis ist bekanntlich konstant und wird nach dem ersten zuverlässigen Berechner die Ludolf'sche Zahl, π(pi), benannt. Es ist also gänzlich gleichgültig, ob man einen Kreis ins Auge faßt von der Größe eines Fingerrings, oder einer Zirkusarena, oder vom Radius einer Siriusweite. Und ebenso gleichgültig ist es, was mit dem Kreis vorgeht, während man ihn mißt. Die Verhältnisgröße muß immer stimmen.
    Aber schon hier meldet sich aus einer Ecke der neuesten Wissenschaft ein Widerspruch, und man dürfte an den Ausspruch Dove's zurückdenken: wenn wir Professoren einer Sache nicht ganz sicher sind, so beginnen wir den Satz mit dem Worte »bekanntlich«. Man könnte erweitern: der Ausdruck

Weitere Kostenlose Bücher