Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
Wegen beizukommen. Er läßt gewähren, er bekundet sogar Bewunderung für einzelne neuere Arbeiten, wie für die vorgenannte von Schlick, allein er findet in den nur -philosophischen Methoden Widerstände, die ihn zum mindesten abhalten, sich an ihnen systematisch zu beteiligen. Jene unwillige Bezweiflung der Philosopheme, die im Kreise der exakten Forscher nie verschwunden ist, jener Verdacht, der in allen metaphysischen Ansätzen Reste von Sophistik und Scholastik wittert, äußert sich auch bei ihm in wahrnehmbaren Reflexen. Er vermißt in der Denkweise der Nichts-als-Philosophen die Straffheit und Gradlinigkeit, die von einem Ergebnis zum nächsten die Bürgschaft des Fortschreitens gibt, und er bemängelt das Schwammige, Unsaubere gewisser Denkgebilde, die ja freilich von der Geschlossenheit und kristallklaren Helligkeit mathematisch-physikalischer Entwickelungsreihen recht unvorteilhaft abstechen. Stand am Portal der Athenischen Akademie der Spruch »medeis ageometretos eisito« – keiner soll hier hinein, der nicht mathematisch vorgebildet –, so denke man sich daneben eine Akademie der reinen Transzendentalphilosophen mit der Inschrift: Kein Aufenthalt für Exaktforscher! Und ich glaube, diese reinliche Scheidung wäre so ziemlich in Einsteins Sinne.
Bei dem großen, von Einstein höchst verehrten Ernst Mach erlebten wir ähnliche Reflexe, oder besser mit einem akustischenGleichnis: er sang laut und öffentlich fast die nämliche Melodie in anderer Tonart. Nie wurde er müde, zu versichern, daß er eigentlich »gar kein Philosoph, sondern nur Naturforscher« sei, und eines seiner Werke trägt an der Spitze der Einleitung das Bekenntnis: »ohne im geringsten Philosoph zu sein oder auch nur heißen zu wollen...«, während er sich wenige Zeilen später, sarkastisch, als »streifenden Sonntagsjäger« auf philosophischen Gründen bezeichnet. Allein, Machs Auftakt erlebt ein eigentümliches Nachspiel, denn das also präludierende Buch, betitelt »Erkenntnis und Irrtum«, gehört zu den Hauptwerken der philosophischen Literatur; und er selbst, der Sonntagsjäger, der nicht einmal Philosoph heißen wollte, übernahm 1895 an der Wiener Universität die Professur für Philosophie. Nur die Scheu vor dem Zunftwesen hatte ihn dazu gedrängt, immer wieder den Abstand zu betonen, während er im Herzen eine glühende Liebe zur Urmutter der Wissenschaft, eben der Philosophie, hegte. Und ich bin der Meinung: für jeden, auch für den strengsten Forscher, kann der Moment kommen, da die Sirenenklänge vom philosophischen Gelände her Macht über ihn gewinnen.
Was Einstein persönlich anlangt, so wage ich in dieser Hinsicht keine Prognose. Gehört er auch in die Größenklasse der Descartes, Pascal, d'Alembert, Leibniz, in denen Mathematik und spekulative Philosophie zusammenflossen, so ist er doch eine Figur von so hervorstechender Eigenprägung, daß man in keinem Betracht von anderen auf ihn schließen darf. Er braucht nicht einen Tag von Damaskus zu erleben, denn er trägt die Heilsbotschaft in sich, und von ihm geht sie aus. Eines halte ich dabei für möglich: daß Einstein gelegentlich aus künstlerischen Motiven das Nachbargebiet beschreitet. Sind die Mittel der Philosophie nebuloser, verschwommener, als die der brennend deutlichen Exaktwissenschaft, so nähert sie sich in gleichem Verhältnis den Künsten. Und sicherlich sind auch in einer die Welt umspannenden Lehre viele künstlerischer Befruchtung zugänglichen Keime vorhanden. Die Linie von Kant zu Schiller zeigt, wie das gemeint ist. Schon jetzt verrät die Kunst in Andeutungen, daß sie gewillt ist, mit den Erkenntnissen Berührungspunkte aufzusuchen. In Frankreich entstanden symphonische Tonstücke über die Kreisberechnung und über die Logarithmen, heute Kuriositäten, in weiterer Zeit vielleicht Vorbilder. Eines späten Tages kann das vierdimensionale Universum für künstlerische Behandlung reif geworden sein. Auf dem Wege dahin liegt die Behandlung mit den symbolischen, unstrengen, halbdichterischen Ausdrucksmitteln der Philosophie. Viele werden sie versuchen,und das Gelingen könnte ihnen näherrücken, wenn Einstein selbst ihnen hilfreiche Hand bietet. Neue physikalische Wahrheiten gibt es auf diesem Wege nicht zu erschließen, aber die vorhandenen könnten leichter in das breite Bett der Weltphilosophie einmünden. Die Welt ergründen ist Klausurarbeit, sie weithin begreiflich machen wollen, das verlangt einen Prediger, der mit den schönen Mitteln
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