Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
nicht, auf wen das zielen soll, glaube aber, daß ich persönlich zu solchem Vorwurf durch mein Verhalten niemals Anlaß gegeben habe. Denn ich teile keine Rangklassen ab, und verteile keine Anerkehnungsgrade nach Höher oder Niedriger. Ich stelle nur fest, was im Wesen der Wissenschaft selbst liegt, und nach welchen Zielen sie, unpersönlich gedacht, zu blicken hat. Wie sich dann bei dem einzelnen Vertreter die weitere Orientierung gestaltet, das hängt von Lebensbedingungen ab, die eben für den einzelnen entscheidend werden, ohne daß man aus ihnen Folgerungen für die Grundlinien der Forschung ableiten dürfte. Es wäre gänzlich verfehlt, mir eine Verstiegenheit der Anschauung zuzutrauen, denn ich besitze genügend viel Berührung mit der Praxis und werde bis zu dieser Stunde reichlich von Praktikern in Anspruch genommen ...
»– was ich zu meinem Leidwesen bemerkt habe, wenn Sie eine Unterhaltung mit mir abbrechen mußten, um ungeduldigen Personen in technischen Dingen gutachtliche Audienz zu erteilen.«
– Und mein eigener Kontakt mit der Welt der Praxis istnicht etwa jüngeren Datums. »Ich selbst«, sagte Einstein, »sollte ursprünglich auf den Wunsch meiner Familie Techniker werden, und dieser Beruf wurde durchaus als Brotstudium und Versorgung verstanden. Allein mir war das im Grunde unsympathisch, da mir in ganz jungen Jahren diese Bemühungen im wesentlichen ›traurig und gleichgültig‹ erschienen. Meine Vorstellung von der Menschheitskultur wollte sich nicht decken mit der landläufigen Auffassung, daß man den Kulturfortschritt nach dem Maße des technischen Fortschritts zu beurteilen habe. Ja, es wurde mir zweifelhaft, ob eine gesteigerte Technik überhaupt imstande sei, das Wohlbefinden der Menschheit zu erhöhen. Ich muß indes hinzufügen, daß ich späterhin, als ich doch wirklich in Fühlung mit der Technik geriet, meine Ansichten darüber teilweis berichtigte; nämlich deswegen, weil auch in der technischen Praxis dauernd »theoretische Genüsse« auftreten.« Es wird darauf hinauslaufen, denke ich, daß der Techniker, sofern er nicht nur maschinelle Verbesserungen ersinnt und herstellt, sondern sich in höherem Stile erfinderisch betätigt, gar nicht aufhören kann, sich als Theoretiker zu fühlen, da ja seine Leistungen auf die Befruchtung durch die Theorie angewiesen bleiben. Die praktischen Ergebnisse von heute sind in den theoretischen Grundlagen früherer Jahrzehnte verankert, und was heute als Gedanke reiner Erforschung behandelt wird, kann in Jahrzehnten praktische Bedeutung erlangen. Ob es diese wirklich einmal gewinnt, ist für die Beurteilung des Gedankens nebensächlich. Jedenfalls hat die Erfahrung gezeigt, daß der Anfang theoretischer Untersuchungen fast niemals den leisesten Anhalt für eine Prognose bietet. Wir sprachen von den Beispielen Volta, Ampère, Faraday. Als sie forschten, hätten sich vor ihren Untersuchungen die Allerweltsfragen erheben können: Wozu das? Was macht man damit? Wo steckt der Nutzen? Heute kennt man die Antworten, die sich damals verbargen, und man weist mit Stolz auf eine moderne Dynamomaschine. Aber objektiviert sich denn wirklich in einer Dynamomaschine der Sinn jener Untersuchungen? Wäre Voltas, Ampères, Faradays Rangstellung für uns eine niedere, wenn das Dynamo bis heut ausgeblieben wäre? Nur ein Banause wird das bejahen, und genau genommen darf man die Frage nicht einmal aufwerfen. Denn sie ist ziemlich gleichwertig mit der, ob man die Bedeutung und Wichtigkeit des Polarsterns nach seiner Fähigkeit zu beurteilen habe, dem irdischen Seefahrer zur Orientierung zu dienen. Allenfalls wäre die Frage erlaubt (wiewohl auch nur mit dem Bewußtsein einer psychologischen Spielerei, bei dernicht viel herauskommen kann): Würde es jene Forscher besonders beglückt haben, wenn sie die Tragweite ihrer Arbeiten hätten voraussehen können? Haben sie am Ende gar bei ihren abstrakten Forschungen schon einen vorahnenden Blick in die Dynamo-Zukunft geworfen? Hier wollte sich Einstein nicht zu einer glatten und restlosen Verneinung entschließen. Er verstattete dem Zweifel einen gewissen, sehr eng bemessenen Spielraum. Das will sagen: nach größter Wahrscheinlichkeit haben Volta-Ampère-Faraday derartige Fernblicke nicht entsandt, und selbst wenn ihnen traumhaft irgend eine Kraftleistung unserer elektrischen Gegenwart vorgeschwebt hätte, so wäre dadurch ihre Arbeitslust, ihr »theoretischer Genuß« kaum gesteigert worden; weil sie reine
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