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Einstein, Orpheus und andere

Einstein, Orpheus und andere

Titel: Einstein, Orpheus und andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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zurückgezogen. Regen wusch den Schmutz in Streifen von seinem Gesicht, glättete sein Haar. Er rüttelte weiter an meiner Schulter, verzweifelt, wütend.
    »Was ist geschehen?« fragte ich. »Bin ich ohnmächtig geworden …?«
    Du bist gestorben! Er starrte mich an, ungläubig, zornig und tränenüberströmt. Verdammt noch mal, Lobey! Warum hast du bloß sterben müssen! Du hast dich einfach aufgegeben; du hast einfach beschlossen, daß es die Sache nicht wert sei, und du läßt dein Herz stillstehn und das Gehirn leer werden! Lobey, du bist gestorben! Du bist gestorben!
    »Ja, aber jetzt bin ich nicht tot …«
    Nein. Er half mir weiter. Die Musik hört nicht auf. Komm weiter!
    Wieder langte ich nach meiner Klinge. Er gab sie mir. Ich sah nichts, auf das ich hätte loshacken können. Ich fühlte mich nur einfach besser, wenn sie sie hielt. Und es regnete zu stark, als daß ich hätte spielen können.
    Wir fanden unsere Reittiere, sie jammerten im Regen und wedelten ihre Schnurrbärte glücklich hin und her. Grünauge half mir in den Sattel. Rittlings auf einem nassen Drachen, ob mit oder ohne Sattel, das ist so schwierig, wie wenn man ein Erdbeben auf glitschigem Boden überstehen will. Schließlich fanden wir die Herde weiter vorn. Sie zog langsam durch den Wolkenbruch.
    Spinne kam zu uns hergeritten. »Na, da seid ihr ja! Dachte schon, wir hätten euch verloren! Reitet mal auf die andere Seite ’rüber und haltet sie aus den Stachelbirnen ’raus. Sie werden besoffen davon, und dann kann man sie nicht mehr in Zaum halten.«
    Also ritten wir hinüber auf die andere Seite und hielten sie aus den Stachelbirnen ’raus. Ich überlegte mir unentwegt Sätze in meinem Kopf, um Spinne zu berichten, was geschehen war. Ich kaute an den Worten, aber ich konnte sie nicht zu einem vernünftigen Zusammenhang zurechtbeißen. Einmal, als der Druck meiner Ungläubigkeit so stark wurde, daß ich es nicht mehr aushalten konnte, zügelte ich meinen Drachen, wendete und preschte über den schlammigen Hang auf Spinne zu. »Chef, Kid Death reitet mit der …«
    Das war ein Fehler. Die Gestalt, die sich mir zuwendete, war nicht Spinne. Rotes Haar glitschte über die weiße Braue. Nadelzähne rissen den Donner entzwei, der hinter den Bergen hervorbrach, als er den Kopf in todeshohlem Gelächter zurückwarf. Er hockte nackt auf seinem Drachen und schwenkte einen schwarzen und silbernen Hut über dem Kopf. Zwei antike Pistolen hingen in einer Halfter an seiner Hüfte, die milchweißen Griffe schimmerten. Als sein Drache sich aufbäumte (und meiner zurückwich), sah ich, daß an seinen bloßen Klauenfüßen zwei Steigbügel mit Stachelsporen befestigt waren, die er in die blutigen Flanken seines Tieres trieb.
    Betäubt knuffte ich mir den Regen aus den Augen. Aber die Erscheinung war verschwunden. Hilflos vor lauter Fragen ritt ich an den Rand der Herde zurück.

 
9.
     
    Jean Harlow? Christus, Orpheus, Billy the Kid, die drei kann ich verstehen. Aber was hat ein junger schreibender Pionier wie du sich dabei gedacht, als er sich mit der Großen Weißen Hure einließ? – Es ist natürlich ziemlich klar, nehme ich an.
    Gregory Corso / Im Gespräch
     
    Es ist nicht so, daß Liebe zuweilen zu Irrtümern führt, sondern vielmehr, daß sie ihrem Wesen nach ein Irrtum ist. Wir verlieben uns, wenn unsere Einbildungskraft nichtexistente Vollkommenheit auf eine andere Person projiziert. Eines Tages verschwindet die Phantasmagorie, und mit ihr stirbt die Liebe.
    José Ortega y Gasset / Über die Liebe
     
    Erschöpfung stumpfte mich ab; Gewohnheit trieb mich wie Käfiginsassen weiter. Es hatte fast schon eine Stunde lang aufgehört zu regnen, ehe ich es bemerkte. Und die Gegend hatte sich verändert.
    Wir hatten die Felsen zurückgelassen. Nasse Sträucher und Kräuter brachen unter den Klauen der Drachen. Links, etwas weiter unten an einem kleinen Hang, lief ein Streifen grauer Boden neben uns her. Ich fragte Stinker: »Folgen wir diesem komischen Steinstreifen da drunten?«
    Er kicherte und spuckte: »Na, Lobey, ich wette, das ist die erste gepflasterte Straße, die du jemals gesehen hast, was?«
    »Kann schon sein«, sagte ich. »Was bedeutet gepflastert? «
    Messer, der vorbeikam, kicherte. Stinker machte sich davon, um etwas zu erledigen. Und so hörte ich weiter nichts darüber. Drei oder vier Karren knarrten langsam auf der Straße vorüber, ehe mir aufging, wozu das verdammte Ding diente. Sehr raffiniert. Als der nächste Karren

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