Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einstein, Orpheus und andere

Einstein, Orpheus und andere

Titel: Einstein, Orpheus und andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
Vom Netzwerk:
den Ruinen gebuddelt, die alten Ideen durchgekaut, die Fetzen von Metall und Draht zusammengebaut. Schon seit zehn Jahren. Sie sind fast fertig damit.« Er wedelte mit der Hand. Auf die Szenerie rollte jetzt Wasser, unendlich viel Wasser: ein Ozean. Auf dem Wasser bildeten metallene Pontons eine schwimmende Station. Boote lavierten auf und ab. Kräne ließen einen Metallbehälter auf den Grund des Ozeans hinunter. »Tiefsee-Meßgerät«, erklärte Kid. »Bald werden wir mehr können, als nur quer über den Schlamm des Meeresbodens hinweg zu träumen, wir werden diese Körper auf den Grund der Welt hinunterbringen, wie sie es taten.« Wieder ein Handwedeln, und wir blickten in eine unterirdische Welt. Segmentierte Würmer, die von Frauen mit Kopfhelmen getrieben wurden. »Felsbohrungen, passiert jetzt in der Gegend, die sie Chile nannten.« Dann, mit einer letzten Bewegung, sahen wir Myriaden Leute, alle schwer arbeitend, Korn mahlend oder mit glänzenden, komplizierten, verwirrenden Instrumenten schuftend. »Da«, sagte Kid Death, »da sind die Taten und Handlungen aller Männer und Frauen und Androgynen dieser Welt, die sich bemühen, der Weisheit und dem Wissen der Alten auf die Spur zu kommen. Ich kann dir den Reichtum übergeben, den ihrer aller Hände produzieren.« Grünauges grünes Auge weitete sich. »Ich kann es dir garantieren. Und du weißt, daß ich das kann. Du mußt dich nur mir anschließen.«
    Die weiße Hand hatte sich wieder auf Grünauges Schulter niedergelassen. Und wieder befreite er sich mit einem Zucken von ihr.
    »Welche Macht hast du schon?« fragte Kid Death. »Was kannst du mit deiner Andersartigkeit schon ausrichten! Zu ein paar tauben Männern, ein paar Toten sprechen, in die Gehirne von ein paar Idioten eindringen?« Ich merkte plötzlich, daß Kid sehr aufgeregt war. Und er wollte, daß Grünauge ihm beipflichtete.
    Grünauge begann von ihm wegzugehen.
    »He, Grünauge!« brüllte Kid Death. Ich sah, wie sein Bauch einsank, als er die Luft aus dem Brustkorb stieß. Seine Krallen verknoteten sich.
    Grünauge blickte zurück.
    »Dieser Fels da!« Kid deutete auf einen Brocken am Klippenrand. »Verwandle den Felsen da in was zu essen!«
    Grünauge kratzte sich mit schmutzigen Fingern hinter dem Ohr.
    »Du bist jetzt auf dieser Drachentour seit siebenundzwanzig Tagen. Und du bist fast ein Jahr von Branning-at-Sea fort. Es sind nur noch ein paar Tage. Verwandle diesen Baumstamm in ein Bett, wie das, in dem du gewöhnlich im Palast deiner Mutter schläfst. Du bist ein Prinz in Branning-at-Sea, und du stinkst wie Echsenscheiße. Mach aus dieser Pfütze ein Bad aus Onyx und mit fünf verschiedenen Temperaturen, die von Hebeln mit kupfernen Rattenköpfen gesteuert werden. Du hast Schwielen an den Handflächen, und deine Beine sind krumm vom Reiten auf einem Drachenbuckel. Wo sind die Tänzer, die auf den Jadeplatten der Terrasse für dich tanzten? Wo die Musikanten, die den Abend milde machten? Verwandle den Gipfel dieses Berges in einen Ort, der deiner würdig ist …«
    Ich glaube, da war es, daß Grünauge aufblickte und mich sah. Er begann auf mich zuzulaufen, hielt nur an, um meine Machete aufzuheben, die am Fuß des Felsens lag, dann schwang er sich zu mir herauf. Kid, am Klippenrand, war wütend geworden. Er bebte, die Zähne fest aufeinander gepreßt, die Fäuste gegen den Unterleib gepreßt. Plötzlich wirbelte er herum und schrie etwas.
    Ich erschrak und zuckte zurück. Grünauge nahm es nicht zur Kenntnis und versuchte mir aufzuhelfen. Am Klippenrand schüttelte Kid Death die Fäuste. Blitze zischten durch die Wolken. Die Blätter verblichen von Schwarz zu Lavendelfarben. Grünauge blinzelte nicht einmal. Wieder Donner, dann schüttete jemand Eimer voll Wasser über uns aus.
    Hirtenstaub verwandelte sich in Schlamm auf Grünauges Schultern, als er mir den Hang hinunterhalf. Irgend etwas in meinem Innern war nicht in Ordnung. Die Geschichten da drin bewegten sich hin und her. Der Regen war kalt. Ich fröstelte. Irgendwie war es einfach leichter, sich fallenzulassen, nicht weiter mitzumachen …
    Grünauge rüttelte mich an der Schulter. Ich öffnete die Augen gegen den Regen, und der erste Griff war der nach meiner Klinge. Grünauge hielt sie fest, außer Reichweite meiner Hände, er starrte mich an.
    »Ha …? Wa …« Meine Finger und Zehen prickelten. »Was ist denn passiert?« Regen brannte in meinen Augen, auf meinen Lippen. Grünauge weinte, die Lippen von den weißen Zähnen

Weitere Kostenlose Bücher