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Einstein, Orpheus und andere

Einstein, Orpheus und andere

Titel: Einstein, Orpheus und andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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Peitsche zusammen. »Wir werden da unten auf dem Plateau unser Nachtlager aufschlagen und im Morgengrauen geht es dann nach Branning.« Zwanzig Minuten später umkreisten wir die Herde, während Batt das Abendessen machte. Der Himmel war schwarz hinter dem Ozean, blau über uns. Branning strahlte sein eigenes Licht, blitzend wie auf den Strand gefallene Zechinen. Vielleicht war das Gelände weniger gefährlich, vielleicht machte es auch Spinnes Ruhe, die Drachen waren jedenfalls vollkommen brav und ruhig.
    Später legte ich mich hin, schlief aber nicht. Zusammen mit Messer hatte ich die zweite Nachtwache. Als Grünauge mich mit dem Fuß gegen die Schulter stupste, rollte ich auf die Beine; erwartungsvolle Erregtheit hielt mich wach. Bald würde ich die Hirten verlassen; wohin würde ich als nächstes gehen?
    Messer und ich umkreisten die Herde in entgegengesetzter Richtung. Während ich so dahinritt, überlegte ich mir: ganz allein in den Wäldern herumstreifen, das ist relativ bequem. Aber zwischen Stein, Glas und ein paar Millionen Leuten herumzustreifen, das ist was ganz anderes. Vier Fünftel der Herde schliefen. Ein paar Drachen jaulten in Richtung Branning, das jetzt weniger hell strahlte als vorher, aber immer noch wie ein Lichterstab am Meer lag. Ich zügelte mein Reittier, um hinunterzuschauen auf die …
    »Hallo, du da oben, Drachen-Mann!«
    Ich blickte die Böschung hinunter.
    Ein Buckliger hatte mit seinem Dogcart auf der Straße gehalten.
    »Hallo, du da unten.«
    »Ihr bringt eure Echsen am Morgen nach Branning?« Er griente. Er tauchte unter das Lederdach des Dogcarts und holte eine Melone hervor. »Hungrig, Treiber?« Er brach die Frucht auseinander und wollte mir gerade die Hälfte heraufwerfen.
    Aber ich glitt von meinem Reittier, und er hielt inne. Ich rutschte auf die Straße ’runter. »He danke, Lo Fremder.«
    Er lachte. »Kein Lo für mich.«
    Und dann begann der Hund, der zwischen dem Mann und mir hin- und hergeblickt hatte, zu winseln. »Ich. Ich. Ich hungrig. Ich.«
    Der Buckelige reichte mir meine Hälfte der Melone, dann nibbelte er dem Hund die Ohren. »Du hast dein Abendfutter schon gehabt.«
    »Ich teile sie mit ihm«, sagte ich.
    Der Buckelige schüttelte den Kopf. »Er arbeitet für mich, und ich gebe ihm zu essen.«
    Er brach seine Melonenhälfte entzwei und warf ein Stück dem Tier zu, das schmatzend die Schnauze hineinwühlte. Als ich in meine Melone biß, fragte mich der Fremde: »Wo kommst du her, Drachen-Mann?«
    Ich nannte den Namen meines Dorfes.
    »Und du bist zum erstenmal in Branning-at-Sea?«
    »Ja. Woher kannst du das wissen?«
    »Ach.« Er grinste mit vielen gelben Zähnen. »Ich bin auch einmal zum erstenmal nach Branning-at-Sea gekommen. Und ein paar Sachen unterscheiden dich von den Einwohnern da unten, ein paar Punkte, die dich anders machen …«
    »Anders?«
    Er hob die Hand. »War nicht bös gemeint.«
    »Hab’s auch nicht bös aufgefaßt.«
    Der Buckelige kicherte wieder, als ich einen süßen saftigen Mund voll Melone kaute.
    »Was hier Diamanten sind, ist dort Mist«, deklamierte er weise. »Ohne Zweifel hat die Taube auch das bei der einen oder anderen Gelegenheit gesagt.«
    »Die Taube«, fragte ich, »sie ist La Taube, oder?«
    Er sah überrascht aus. »Lo, La und Le ist verwirrend in diesem Fall. Nein.« Er benagte die Schale mit den Schneidezähnen, dann warf er sie fort. »Diamanten und Mist. Ich nehme an, es war in deiner Stadt wie in meiner: Lo-, La- und Le-Titel waren für die zeugungsfähigen Normalen reserviert und wurden gelegentlich an zeugungsfähige Funktionale verliehen?«
    »Ja, genauso ist es.«
    »War es. War es in Branning-at-Sea. Jetzt ist es nicht mehr so. In Dörfern ist so wenig über Andersartigkeit bekannt, daß niemand böse wird, wenn man ihn als anders bezeichnet.«
    »Aber ich bin anders«, sagte ich. »Warum sollte mich das ärgern? So sind die Dinge eben.«
    »Noch einmal, in Branning waren die Dinge mal so. Sind jetzt nicht mehr so. Und zum drittenmal: Diamanten und Mist. Ich kann nur hoffen, deine Hinterwäldlerei bringt dich nicht in Schwierigkeiten. Mir hat es vor fünfzehn Jahren, als ich zum erstenmal nach Branning-at-Sea kam, ein halbes dutzendmal Prügel eingebracht. Und dabei war der Ort damals noch viel kleiner, als er jetzt ist.« Er blickte die Straße hinunter.
    Ich erinnerte mich an das, was Spinne über die Anrede unter Treibern gesagt hatte. »Und wie macht man’s jetzt?« fragte ich. »Ich meine hier? In

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