Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einstein, Orpheus und andere

Einstein, Orpheus und andere

Titel: Einstein, Orpheus und andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
Vom Netzwerk:
Straße hinaufziehe. Es tat weh, und ich liebte sie, hielt mich fest und fiel nicht.
    Kid Death kicherte immer noch. Er deutete auf den Scheitelpunkt des gekrümmten Baums. »Brich!« flüsterte er.
    Er brach.
    Sie fiel, warf den Ast im gleichen Moment von sich; sich in den Fels krallend fiel sie, packte die Lederschnur, die von meinem Genick baumelte, ließ sie dann los.
    Sie ließ sie los, weil sie verdammt gut wußte, daß es mich von der Klippe weggezerrt hätte.
    »Bäääh-bäää!« sagte Kid Death. Er machte eine Geiß nach. Dann kicherte er wieder.
    Ich hämmerte mein Gesicht gegen den Schiefer. »Friza!« Nein, man konnte nicht verstehen, was ich heulte.
    Ihre Musik zerschmetterte mit ihrem Gehirn auf den Felsen am Grund der Schlucht, hundert Fuß weiter unten.
    Fels. Stein. Ich versuchte, der Fels zu werden, an dem ich hing. Ich versuchte Stein zu werden. Wäre ich durch ihren doppelten Tod weniger zerstört gewesen, ich wäre hinuntergestürzt. Wäre sie bei einer anderen Handlung gestorben als bei dem Versuch, mich zu retten, ich wäre mit ihr gestorben. Aber ich konnte nicht zulassen, daß es ihr mißlang.
    Mein Herz rockte. Mein Herz rollte.
    Taub und stumpf hing ich zeitlos da, bis meine Hände abzugleiten begannen.
    »Na schön. Rauf mit dir.«
    Etwas packte mein Handgelenk und zog mich hinauf. Fest. Meine Schultern dröhnten wie Gongs aus Schmerz unter meinen Ohren. Blind wurde ich über Geröll gezerrt. Ich blinzelte, ich atmete. Irgendwie hatte mich Kid Death zu sich auf den Sims hinaufgezogen.
    »Hab’ dir grad das Leben gerettet«, sagte Kid Death. »Freust du dich nicht, mich kennenzulernen?«
    Ich fing an zu zittern. Ich war unmittelbar davor, ohnmächtig zu werden.
    »Du wirst jetzt gleich brüllen: ›Du hast sie umgebracht!‹« sagte Kid Death. »Ich habe sie noch einmal getötet, das ist in Wirklichkeit geschehen. Und ich werde es noch ein drittesmal tun müssen, ehe du kapierst …«
    Ich warf mich nach vorn, wäre beinahe ’runtergestürzt. Aber er packte mich mit einer festen feuchten Hand und schlug mir mit der anderen ins Gesicht. Der Regen hatte aufgehört.
    Vielleicht hat er mehr getan als mich geschlagen.
    Kid drehte sich um und begann zum Rand des Pfades hinaufzuklettern. Ich hinter ihm her.
    Ich kletterte.
    Erde brach unter meinen Fingern. Mein Nägelkauen war ganz gut, denn sonst wären meine Nägel jetzt restlos draufgegangen. Von dem Sims aus konnte man zurück nach oben gelangen. Kid Death sprang und hüpfte. Ich kroch.
    Es gibt Umstände, unter denen jede Aktion ein einziges Ziel verfolgt. Du bewegst dich, atmest, hältst inne, um zu rasten, beginnst von neuem mit einem einzigen Gedanken im Hirn. Und auf diese Weise folgte ich Kid Death. Meistens auf dem Bauch. Meistens mit angehaltenem Atem. Ich bin nicht so ganz sicher, wohin ich ging. Die Situation wurde erst klarer, als ich bemerkte, daß da vor mir zwei Personen standen: der feuchte, weiße Rotschopf. Ein schwarzes Strohdach von Haaren, der verdreckte Grünauge.
    Ich lag auf einem Felsen, ruhte, ja so war es, in einem Nebel von Erschöpfung und Bemühung, als ich sie sah.
    Kid Death hatte seinen Arm um Grünauges Schultern gelegt. Sie standen am Abgrund. Der Himmel hinter ihnen trieb heftig vorüber.
    »Hör mal, Kumpel«, sagte Kid Death, »wir müssen zu einer Art Abmachung kommen. Ich meine, du kannst dir doch denken, daß ich nicht den ganzen Weg gemacht habe, bloß um meinem Freund Spinne fünf Drachen zu klauen. Oder? Das war nur, um ihm zu zeigen, daß ich noch im Geschäft bin. Wir zwei müssen uns zusammenraufen. Haploid! Du bist völlig außerhalb meiner Reichweite. Ich will dich haben. Ich will dich mit aller Gewalt haben, Grünauge.«
    Der schmutzige Hirte wand sich mit einem Zucken aus den feuchten Fingern.
    »Schau«, sagte Kid Death und wies auf den verrückten Himmel.
    Wie ich Kids Gesicht zuerst auf dem schimmernden Schirm in der Quellenhöhle gesehen hatte, so sah ich jetzt in den zerfaserten Wolken: eine Ebene, umgeben von einem Drahtzaun (ein Käfig?), aber mittendrin eine hoch aufstrebende Nadel in einem Gerüst von Hangern und Tauen. Ich konnte mir ungefähr vorstellen, wie groß sie war, als ich feststellte, daß die Steinblöcke neben dem Zaun Häuser waren, die Punkte, die sich um sie herum bewegten, Männer und Frauen.
    »Sternsonde«, sagte Kid. »Sie sind knapp davor, die Methode zu entdecken, mit der seinerzeit die Menschen von Planet zu Planet, von Stern zu Stern reisten. Sie haben in

Weitere Kostenlose Bücher