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Einstein, Orpheus und andere

Einstein, Orpheus und andere

Titel: Einstein, Orpheus und andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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verstehst das Ganze nicht, was?« Er wurde ein wenig milder. »Aber wenn du erst mal eine Weile Schuhe getragen und deinen Nabel bedeckt gehalten hast, dann wirst du es schon verstehen. Ich sage dir das alles jetzt, aber ein Jahr in Branning-at-Sea wird dir den Sinn von meinem Geschnatter schon beibringen.«
    »Ich hab’ nicht vor, ein Jahr zu bleiben.«
    »Wirst du vielleicht auch nicht. Andererseits ist es möglich, daß du bis an dein Lebensende bleibst. Das ist so ein Ort. Er enthält viele Wunder, und die Wunder werden dich vielleicht halten.«
    »Ich bin nur auf der Durchreise«, sagte ich bestimmt. »Der Tod von Kid Death ist das Ziel meines Trips.«
    Sein Gesicht nahm den allermerkwürdigsten Ausdruck an.
    »Laß dir sagen, Waldjunge«, sagte er mahnend. »Vergiß das ungeschliffene Gerede der Viehtreiber. Schwöre und fluche nicht, auch nicht im Namen von Alpträumen gegen Höhergestellte.«
    »Ich habe nicht geflucht. Diese rothaarige Pest reitet mit unserer Herde, um Grünauge und mich zu quälen.«
    Der bucklige Pistol entschied bei sich, daß der Dummkopf keiner Belehrung zugänglich sei. Er lachte und klopfte mir auf die Schulter. Der ordinäre Zug an ihm, der ihn anfangs dazu verführt hatte, ein Gespräch zu beginnen, kam wieder zum Vorschein. »Na, dann wünsch ich dir viel Glück, Lo Schmutzgesicht, und auf daß der andersartige Teufel bald krepiert – und durch deine Hand.«
    »Durch mein Messer«, korrigierte ich ihn und zog die Machete heraus, damit er sie sehen konnte. »Denk an ein Lied.«
    »Was?«
    »Denk an ein Lied. Was für Musik spielen sie in deiner ›Perle‹?«
    Er runzelte die Stirn, und ich spielte.
    Seine Augen wurden groß, dann lachte er. Er lehnte sich gegen seinen Wagen und klatschte sich auf den Bauch. Das in mir, das lacht oder weint, lachte eine Weile mit ihm. Ich spielte weiter. Aber als seine übertriebene Heiterkeit mir unbegreiflich wurde, steckte ich meine Machete wieder in die Scheide.
    »Drachentreiber«, erklärte er unter Katarakten von Lachen, »ich habe nur zwei Möglichkeiten: mich über deine Unwissenheit lustig zu machen oder anzunehmen, daß du dich über mich lustig machst.«
    »Wie du zu mir gesagt hast, es war nicht bös gemeint. Aber ich wollte, du würdest mir den Witz erklären.«
    »Hab’ ich doch, hab’ ich. Mehrere Male. Aber du hörst einfach nicht.«
    Er studierte meine Verwirrung. »Behalte deine Andersartigkeit für dich. Sie ist deine Sache und geht niemanden sonst was an.«
    »Aber es ist doch nur Musik.«
    »Freund, was würdest du von einem Mann denken, den du gerade getroffen hast und der dir nach drei Minuten Gespräch verkündet, wie tief sein Nabel ist?«
    »Ich verstehe den Zusammenhang nicht.«
    Er schlug sich mit der Faust gegen die Stirn. »Ich muß mich an meine eigenen Anfänge zurückerinnern. Früher mal, da war ich genauso unwissend wie du; allerdings schwöre ich, ich weiß nicht mehr, wann.« Er pendelte zwischen Humor und Erbitterung hin und her, schneller, als ich ihm folgen konnte.
    »Schau mal«, sagte ich. »Ich kann keinen Sinn in deiner Förmlichkeit sehen. Und was ich sehe, das gefällt mir nicht besonders …«
    »Es steht dir nicht zu, darüber zu urteilen«, sagte Pistol. »Du kannst es akzeptieren, oder du kannst dich davonmachen. Aber du kannst nicht herumgehen und die Sitten anderer Leute mißachten, Scherze mit dem Unbekannten, dem Unheiligen treiben und mit dem Ruchlosen prahlen.«
    »Würdest du mir, bitte, sagen, welche Sitten ich mißachtet habe, womit ich geprahlt habe? Ich habe nur gesagt, was ich dachte.«
    Sein Bauerngesicht wurde wieder hart. »Du sprichst über Lo Grünauge, als ritte er neben dir zwischen den Echsen, und du lobpreist Kid Death, als hättest du seinen Sechsschüsser schon in der Hand gehabt.«
    »Und wo« – ich wurde ärgerlich – »wo glaubst du, ist Grünauge? Er schläft dort oben am Kohlefeuer.« Ich deutete den Hang hinauf.
    »Und Kid Death …«
    Feuer überraschte uns, wir wirbelten herum. Hinter uns stand er in einer Flamme und lächelte. Als er die Krempe seines Hutes mit dem Lauf seiner Pistole zurückschob, fiel rotes Haar in sein Gesicht. »Na, wie geht’s, Kumpel?« kicherte er. Schatten von Gras und Fels wuchsen über die Gruppe. Wo Flammen seine nasse Haut berührten, wirbelte Dampf auf.
    »Aaaahhh-aaahhh-iiiii!« Das war Pistol. Er fiel gegen seinen Wagen, das Kinn sackte herunter. Er schloß den Mund, um zu schlucken, aber das Kinn sackte wieder herunter. Der

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