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Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)

Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schmidt
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ehelichen,
aber es wird ihnen dringend empfohlen, nur innerhalb der eigenen Religionsgemeinschaft
zu heiraten.
    »Ich glaube,
meine Eltern suchen noch. Sie sind auf dem Wege. Sie irren noch ein wenig in der
Weltgeschichte herum, bis sie zu Gott gefunden haben.«
    »Verstehe.«
    »Man sollte
sie nicht bedrängen.«
    »Nein, in
solchen Dingen muss man taktvoll sein.«
    »Darf ich
Sie auch etwas fragen, Charlotte?«
    »Natürlich,
wir sind doch jetzt befreundet«, sagte sie so unbefangen, als würde ihr gleich mit
derselben Leichtigkeit der Wunsch über die Lippen kommen, ich sollte ihr Liebhaber
werden.
    Ich stellte
sofort Überlegungen an, wo es stattfinden könnte. Bei ihr oder bei mir? Unser lärmendes
Haus mit dem geheimen Durchgang war weiß Gott kein Ort für ungestörte Tête-à-Têtes.
Es sei denn, ich schaffte es, Charlotte unauffällig durch den Haupteingang zu schleusen.
Allerdings versteckte mein Alter den Schlüssel neuerdings an den unmöglichsten Plätzen.
Kürzlich hatte ich ihn im Käfig unseres Goldhamsters gefunden, unter der Wolle des
Körbchens.
    »Albert
… was ist los mit Ihnen?«, fragte Charlotte. »Sie wirken so geistesabwesend. Werden
Sie etwa wieder ohnmächtig? Sind das epileptische Anfälle?«
    »Nein, großer
Gott, nein. Ich bin kerngesund. Mir ist nur eingefallen, dass ich Sie gern zu meinem
Geburtstag einladen würde.«
    »Und jetzt
ist Ihnen das Datum entfallen?«
    Offenbar
hatte sie Sinn für Humor – also genau meine Kragenweite.
    »Oh, verdammt,
ich meine, Jesses Maria … jetzt hätte ich doch fast mein Versammlungsbuchstudium
vergessen«, sagte sie und starrte mich so erschrocken an, als ginge gleich die Welt
unter.
    » Versammlungsbuchstudium ?
Was passiert denn da? Teeren und federn die Zeugen Jehovas ihre Jungfrauen, wenn
sie nicht pünktlich zur Versammlung kommen?«
    »Zum Beispiel,
ja.«
    »Werde ich
Sie wiedersehen, Charlotte«, fragte ich, als sie sich Hals über Kopf verabschiedete.
    »Ich hoffe
es, ja, ich hoffe, dass wir in Verbindung bleiben.«
     
    Ich war völlig verwirrt nach unserem
Treffen. WAS MAN SO VERWIRRUNG NENNT …
    Ich fragte
mich, warum das Universum ein derart rüdes Spiel mit dem männlichen Testosteron
treibt. Um uns zu piesacken? Aus reiner Gehässigkeit? Oder welchen Grund sollte
es sonst dafür geben?
    Also legte
ich mich aufs Bett und versuchte ganz ruhig zu atmen. Gleichmäßiges Heben und Senken
der Brust, bloß kein Herzstillstand. Immer einen Atemzug nach dem anderen …
    Aber in
diesem Haus kommt man nie zur Ruhe. Türen knallen, Wasserhähne rauschen und der
Wind rüttelt an Dachpfannen und Fensterläden. Selbst die Tausendfüßler im Keller
trampeln, was das Zeug hält. Schon bei der bloßen Vorstellung, dass irgendein neuer
Krach hinzukommen könnte, muss ich mir die Ohren zuhalten.
    Manchmal
ist mein Gehör so empfindlich, dass ich von einem einzigen Regentropfen geweckt
werde.
    Regentropfen
haben beim Aufschlag einen metallischen Klang. Es scheint bloß niemandem aufzufallen,
weil jeder ständig mit irgendetwas anderem beschäftigt ist. Dem Nachbarn die Frau
abspenstig zu machen oder das Finanzamt zu betrügen. Oder sich mit irgendwelchem
fundamentalistischem Blödsinn ein Heer von seelisch Abhängigen zu schaffen, die
dann Kopftücher tragen müssen und kein Schweinefleisch essen dürfen.
    Im Haus
schlugen Türen. Dann surrte der Haarföhn meiner Mutter und Omas Kleiderschränke
wurden geöffnet. Ihre Schranktüren haben ein charakteristisches Knarren, als versuche
man hundert Jahre alte Kniegelenke zu verdrehen.
    Manchmal
denke ich ernsthaft darüber nach, ob ich nicht einfach mein Gehör in einer Notfallpraxis
auf stumm schalten lassen sollte. Hörnerven durchgetrennt – und Feierabend. Dann müsste man sich den Blödsinn, den Menschen verbreiten, nicht mehr anhören.
    Oder lag
meine Empfindlichkeit nur an den schwindelerregenden Drehbewegungen, die die Erde
im All vollführt? Ich meine, wenn man sich vorstellt, dass wir uns mit 1.670 Kilometern
pro Stunde um die eigene Achse bewegen? Dann dreht sich die Erde auch noch um die
Sonne; das Sonnensystem wiederum kreist mit 220 Kilometern in der Sekunde ums Zentrum
der Milchstraße. Und unsere Galaxie seinerseits rast mit 950.000 Kilometern pro
Stunde durch den Raum und entfernt sich immer weiter vom Ort ihrer Entstehung –
eine nicht mehr vorstellbare Figur ineinander verschlungener Bewegungen.
    Gleich darauf
trampelten die Schritte meines angeblichen Erzeugers über die Holztreppe.

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