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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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Hofacker, der zusammen mit seinem Vorgesetzten, einem General Stülpnagel, den Umsturz in Frankreich versucht hat. Anna-Luise und Eberhard lächeln mich an und unwillkürlich recke ich den Hals in der Erwartung, dass auch Christa hinter ihnen durch die Tür kommt, aber sie ist nirgends zu sehen. Christa, die anderthalb Jahre jünger ist als ich; wir hatten uns in Berlin zwei, drei Mal gesehen und dabei ein wenig angefreundet.
    »Fritzi, wie gut, dass du auch da bist!«, ruft Tante Ilselotte, doch sie gibt mir nur ganz kurz die Hand, als hätte sie Angst, ich könnte nach Christa fragen.
    Als ob ich noch wagen würde, nach irgendjemandem zu fragen!
    Ina kommt mit Nanni, mit der sie das Doppelzimmer teilt; hinter ihr Julius, der mir einen verlegen prüfenden Blick zuwirft. Wahrscheinlich hat er Ina schon erzählt, was er angerichtet hat, denn sie kommt auf mich zu und nimmt mich ziemlich heftig in den Arm. »Ach Fritzi«, sagt sie. »Wir konnten es dir einfach nicht sagen ...«
    Hätte nicht gleichzeitig Tante Adele alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen, hätte ich auf der Stelle wieder angefangen zu heulen.
    Tante Adele hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihrer Tochter Nelly. Groß, hager, in ärmliches Altfrauenschwarz gekleidet und eine voluminöse Handtasche am Arm, steuert sie zielstrebig unseren Tisch an, um sich aufatmend auf Mutters Stuhl fallen zu lassen. »Prrrh!«, macht sie mit kratziger Bassstimme. »Ich habe schon viel errrlebt, aberrr diese Rrrundrrreise macht mich rrregelrrrecht sprrrachlos. «
    »Das glaube ich kaum, Tante Adele«, meint Ina liebenswürdig. »Dich doch nicht!«
    »Wie Rrrecht du hast«, erwidert sie geschmeichelt. »Die Rrrussen haben mich ja bestens vorrrberrreitet, nicht wahrrr?«
    »Almut!«, flüstert Tante Ilselotte, »sie fängt wieder mit der Russischen Revolution an! Lass uns woanders sitzen!«
    Worauf Mutter, nach einem flüchtigen Blick auf ihren nun ohnehin besetzten Stuhl, und ohne einen einzigen verständigenden Blick zu ihrer Tochter, mit Tante Ilselotte, Anna und Eberhard einen neuen Tisch eröffnet! Nanni und Julius sehen aus, als würden sie am liebsten mitgehen, bringen es dann aber doch nicht übers Herz und setzen sich zu mir.
    Julius beugt sich vor. »Markus kommt! Wir haben es vorhin draußen gehört!«, teilt er der Runde mit und strahlt übers ganze Gesicht.
    »Vielleicht bringen sie die Kinder auch bald«, meint Nanni mit ihrer sanften Stimme.
    »Hast du das gehört? Haben sie das gesagt?« Ina springt ihr beinahe über den Tisch entgegen.
    »Nein, das nicht!« Die arme Nanni ist zutiefst erschrocken. »Ich dachte nur ... wenn wir jetzt hier alle zusammen ... es könnte doch sein ...«
    Sie verstummt. »Könnte. Vielleicht.« Ina beherrscht sich mit sichtlicher Mühe.
    Nanni blickt gequält. Meine älteste Kusine ist schon von Natur aus still und ernst und ich vermute, dass sie für den Rest des Abends nun gar nichts mehr sagen wird. Plötzlich fällt mir ein, wie sie mich verpflastert hat, nachdem ich als Sechsjährige in Lautlitz von der Schaukel gefallen war. Der Garten war voller Leute, aber Nanni war die Einzige, die sah, dass ich ernsthaft heulte.
    Sämtliche Lautlitzer blicken streng, als das Ehepaar Kuhn den Speisesaal betritt, ein unauffälliges älteres Paar, das halb verlegen, halb trotzig im Eingang stehen bleibt. Nanni zögert ganz kurz, bevor sie winkt und großzügig auf die beiden freien Plätze an unserem Tisch weist. Man sieht den Kuhns an, dass sie gern kommen würden, sogar kurz darüber flüstern, aber dann wagen sie es doch nicht. Kleinlaut, allein und verbittert setzen sie sich irgendwohin.
    Als Letztes huscht eine junge Frau im dünnen Sommerkleid in den Saal, das ihr an den Oberschenkeln klebt, entschuldigt sichheftig, dass sie zu spät komme, was aber vielleicht gar nicht so schlimm sei, da wir ja auch noch nicht angefangen hätten; sie sei Anneliese Gisevius und entschuldige sich auch dafür, dass ihr Kleid noch nicht ganz trocken sei; das Kleid, in dem sie im Sommer verhaftet wurde, völlig ahnungslos, dass ihr Bruder und so weiter, und ohne jede Chance, einen Koffer zu packen, also habe sie leider nichts anderes dabei.
    Atemlos setzt sie sich zu Mutter und Tante Ilselotte, während einer aus der Wachmannschaft aufsteht, um sich als Obersturmführer Klotz vorzustellen, uns als Ehrenhäftlinge der SS zu begrüßen und uns die Regeln unseres Aufenthaltes zu erklären.
    Ehrenhäftlinge ! Schon will mir ein Stein vom Herzen fallen.

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