Einundzwanzigster Juli
Fritzi, deine Bemerkung stimmt von vorne bis hinten nicht!«
Eingeschnappt gebe ich zurück: »Es kann kein gutes Motiv sein, jemanden zu töten, ob es der Fü... ich meine Hitler ist oder eine andere Person.«
»Und wenn man dadurch größeren Schaden abwenden kann?«, hält Julius dagegen. »Onkel Georg kann sich das nicht leicht gemacht haben. Das fünfte Gebot und so. Außerdem hatten sie ja einen Eid auf Hitler geschworen.«
»Genau! Der Eid! Den hätten sie als Soldaten nicht brechen dürfen.
»Ja, das dachte ich auch. Aber unterhalte dich mal mit Onkel Teddy! Es gibt einen Notwehrparagrafen im Bürgerlichen Gesetzbuch, der einen Soldaten unter bestimmten Umständen von seinem Eid entbindet.«
Ich bleibe stehen und halte mir die Seite, mich hat in den letzten Monaten schließlich kein freundlicher Oberamtsrichter zu Spaziergängen freigelassen! Julius wartet und lächelt, aber ohne eine Spur von Spott. »Du kannst ganz schön was vertragen«, meint er anerkennend und lässt offen, ob er sich auf unsere Diskussion oder die scharfe Wanderung oder womöglich auf beides bezieht.
An den Julius von früher erinnere ich mich kaum, aber plötzlich bin ich der Überzeugung, dass ich ihn schon immer gemocht haben muss. »Was hältst du davon«, fordere ich ihn heraus. »Du bist ... sagen wir, Offizier. Du warst erst für den Krieg, dann dagegen, du hältst Hitler für einen Notfall und schließt dich dem Plan an, ihn loszuwerden. Aber als dieser misslingt, wirst du als Einziger nicht entdeckt. Was nun? Würdest du weiter an der Seite derjenigen kämpfen, die deine Freunde und Verwandten umbringen?«
»Das ist ja ein fantastisches Problem!« Julius ist hingerissen. »Weißt du was? Das diskutieren wir heute Abend am Tisch mit Max und Onkel Teddy.«
Mit Max? Das fehlte gerade noch! Mir wird ganz mulmig bei der Vorstellung, Max so gemein in die Irre zu führen, der wahrscheinlich nicht die geringste Ahnung hat, von wessen fantastischem Problem wir in Wirklichkeit sprechen. Lexi soll es ihm selbst sagen, das habe ich längst beschlossen. Von mir erfährt niemand etwas!
»Ist es nicht langsam Zeit zurückzugehen?«, erinnere ich meinen Vetter. »Eine Stunde, haben sie gesagt. Nicht, dass sie uns morgen nicht mehr rauslassen.«
»Hoppla, du hast Recht! Ja, gehen wir lieber zurück und erweisen uns als vertrauenswürdig.«
Unsere Wachmannschaft sitzt vor dem Haus, raucht und genießt die Herbstsonne. »Na, war’s schön?«, fragt Obersturmführer Klotz, der uns vor einer knappen Stunde mit den Worten auf den Weg geschickt hatte: »Kurze Spaziergänge im Umkreis der Baude erlaubt, aber keine Gespräche, wenn ihr unterwegs jemandem begegnet! «
»Ja, vielen Dank, Herr Obersturmführer«, antworten wir höflich. Die Wachmannschaft feixt. Am liebsten würde ich sagen: Wir sind verwandt, ihr Blödmänner!
Mutter hat sich die Bettdecke bis zur Nasenspitze gezogen; das wenige von ihr, das oben herausschaut, sieht alt und mitgenommen aus. »Vielleicht geben sie dir ein anderes Zimmer, damit du dich nicht ansteckst«, krächzt sie.
Ein widerwärtiger Geruch nach Krankheit und Pfefferminztee hängt im Raum. »Nicht nötig, ich habe bereits meine eigene Erkältung!« Ich reiße das Fenster auf. »Du brauchst frische Luft«, schiebe ich ihren Protest beiseite.
»Wo warst du so lange?«
»Spazieren mit Julius. Das Hotel liegt völlig einsam, wie eine Festung. Heimlich abhauen ist unmöglich, sie können alles überschauen.«
Und ich auch! Aufgeregt recke ich den Hals. »Da kommt ein Auto! Das ist bestimmt Markus!«, rufe ich und eile nach nebenan, um Julius und Nanni Bescheid zu sagen.
»Fenster zu!«, jammert Mutter hinter mir her.
Als der Wagen vor dem Haus zum Halten kommt, stehen wir drei schon atemlos da, aber zu unserer Enttäuschung steigt nicht mein Vetter Markus aus, sondern eine uns unbekannte junge Frau. Ein Mädchen fast noch: sehr gut angezogen, schlank und zart, hübsches, aber verzweifeltes Gesicht. Der Obersturmführer küsst ihr die Hand!
»Signora Pirzio-Biroli«, murmelt er und wir stehen fasziniert und angewurzelt, »ich hoffe, Sie hatten eine gute Reise.«
»Wo sind meine Kinder?«, fragt Signora Pirzio-Biroli und mir schleicht eine Gänsehaut über den Rücken: Auch die Italienerin ist eine von uns!
»Kommen Sie, ich zeige Ihnen alles!« Nanni legt spontan den Arm um sie. »Ich bin Nanni von Lautlitz, das sind mein Bruder Julius und meine Kusine Philippa.«
»Von Lautlitz! «, entfährt es
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