Einundzwanzigster Juli
unser Aufenthaltsort streng geheim ist, aber die Gestapo leitet unsere Post an die Adressaten weiter.
Zur selben Zeit wie ich gibt Max seinen ersten Brief im Foyer ab. Mein Brief ist an Alexandra Gräfin Lautlitz gerichtet, seiner an Alexandra Gräfin Esch. »Sie darf unseren Namen nicht mehr benutzen«, erinnert er mich und bleibt stehen, während ich meinen Umschlag korrigiere. Dabei könnten sie die Briefe eigentlich in einen einzigen Umschlag stecken – sie werden von der Gestapo ja ohnehin aufgemacht und gelesen.
»Na, was hast du dir gewünscht?«, fragt Max, als ich fertig bin.
»Gewünscht ...?«, wiederhole ich und beiße mit Appetit in den Apfel, den ich mir aus der Schale am Tresen genommen habe.
»Handschuhe, Süßigkeiten, Bücher?« Er sieht mich spöttisch an. »Du willst mir doch nicht weismachen, du schreibst Lexi ohne irgendeine Bitte!«
Der Bissen bleibt mir im Halse stecken. Wortlos gehe ich an Max vorbei ins Freie, wo seine neue Dauerbegleitung Fey an der Hoteltreppe schon auf ihren gemeinsamen Spaziergang wartet. Ihr Gesicht strahlt auf und beleuchtet einen Punkt etwa vierzig Zentimeter über mir, woran unschwer zu erkennen ist, dass Max mir auf dem Fuß gefolgt sein muss.
»Fritzi, ich hab’s doch nicht so gemeint«, brummt er.
Wenn er mich am Arm fasst, werde ich ihn abschütteln! Aber das tut er ganz bestimmt nicht, Fey steht ja da. Erst als mindestens fünfzig Meter zwischen uns liegen, drehe ich mich um und sehe erbittert zu, wie sie Richtung Wald schlendern. Vermutlich Italienisch plaudernd – dabei ist Fey gar keine richtige Italienerin. Sie ist bloß die Tochter des früheren deutschen Botschafters in Rom und mit einem Italiener verheiratet.
Natürlich hatte ich überlegt, ob ich irgendetwas benötige. Aber nur ganz kurz! Mir war nichts eingefallen, das wichtig genug gewesen wäre, Lexi damit zu behelligen. Sie leitet ihre Dienststelle, fliegt und forscht und hat unter Beweis zu stellen, dass sich an ihrer Einsatzbereitschaft für die Luftwaffe nichts geändert hat; sie organisiert Winterkleidung, Medikamente und alles, was wir Gefangenen an den unterschiedlichen Orten brauchen. Zurzeit – Max hat es aus ihrem letzten Brief vorgelesen – bemüht sie sich, einen Schwangerschaftsgürtel aufzutreiben. Ich wüsste nicht einmal, wonach ich da suchen müsste, geschweige denn, wie jemand es fertigbringt, an so viele Dinge gleichzeitig zu denken.
Das Einzige, worum ich Lexi gebeten habe, ist, dass sie mir zurückschreibt. Und Max? Geht mit fremden jungen Damen spazieren, während seine Frau sich für uns abmüht, und verdächtigt mich , ihr das Leben schwer zu machen durch irgendwelche dummen Bitten!
Mein Magen ballt sich zusammen, am liebsten würde ich heulen vor Wut. Max ist die größte Enttäuschung, seit wir in der Hindenburgbaude angekommen sind!
Die zweitgrößte Enttäuschung ist Julius – seit dem Auftauchen von Markus bin ich abgemeldet. Wenn doch Christa hier wäre! Sie und ihre jüngsten Geschwister mussten zurückbleiben, als die Hofackers mit dem Versprechen abgeholt wurden, bald wieder zu Hause zu sein. Das war vor fast drei Monaten, vielleicht ist Christa genauso allein und ohne Freundin wie ich.
»Na, lässt du es dir gut gehen?«, fährt mir unversehens eine Stimme in den Rücken.
Erschrocken drehe ich mich um. Obersturmführer Klotz hat die Arme hinter sich verschränkt und sieht mich lauernd an, dabei wippt er leicht auf den Zehenspitzen wie jemand, der im Begriff ist, einen Vortrag zu halten.
»Ja, vielen Dank, Herr Obersturmführer. «
»Alles in Ordnung? Bettchen? Fresschen? Ein kleines Äpfelchen zwischendurch?«
Die Verachtung in seiner Stimme macht schlagartig frösteln. »Meine Kinder«, sagt er, »hätten das auch gern. Verstehst du das, hm? Kannst du mir das erklären? Dass ihr es euch gut gehen lasst und meine Kinder haben in Köln kein Dach überm Kopf?«
»Nein, Herr Obersturmführer.«
»Nein? Was heißt nein? Findest du das etwa in Ordnung?«
Er kommt auf mich zu. Unwillkürlich weiche ich zurück, obwohl ich doch versuchen wollte, keine Angst zu zeigen. Leider sind es nur zwei winzige Schritte bis zur Hauswand.
»Nein, Herr Obersturmführer. Ich meine ... ich verstehe es auch nicht ... es tut mir leid.«
»Leid. Aha. Das ist ja lustig. Wie sollen wir denn das wieder verstehen, hm? Dass meine Kinder einer wie dir leidtun.«
Sein dickes, rundes, wütendes Gesicht ist keine zwanzig Zentimeter von meinem entfernt. »Ich bin aus
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