Einundzwanzigster Juli
tatenlos zusehen. Ihr Gewissen gebot ihnen, etwas zu unternehmen.«
»Ein Freund ist gestorben.« Plötzlich sind die Worte heraus, einfach so. »Ich bin abgehauen. Bis zu dem Tag fand ich alles schön« »Warst du dabei?«
Ich schüttle heftig den Kopf. Heftig genug, um wieder zu mir zu kommen. »Und du? Hast du Bescheid gewusst?«, lenke ich rasch ab.
»Ich habe Georg und Eckhardt im Juni noch gesehen«, sagt er nur. »Wir haben lange geredet. Und dann war ich zurück in Griechenland, weit ab vom Geschehen.«
Ich spüre, wie sich sekundenlang etwas Dunkles über ihn legt, sein ganzer Gang ändert sich, als liefe er durch eine Wolke aus Traurigkeit. Dann fügt er bitter hinzu: »Einer von uns musste wohl übrig bleiben.«
»Ich bin froh, dass du es bist«, antworte ich aus tiefster Seele. Max sieht mich groß an und sagt unwillig: »Du weißt ja nicht, wovon du sprichst.«
Mir verschlägt es die Sprache. Bestürzt stolpere ich neben ihm her und er fügt in weicherem Ton hinzu: »Meine Brüder haben geleuchtet. Ich war immer nur der Dritte.«
»Nicht für mich«, erkläre ich fest.
Er lächelt, ich fasse Mut. »Nicht für Lexi! «
»Das will ich allerdings hoffen«, gibt er zu.
»Und nicht für Fey.«
Max bleibt stehen. »Was soll das denn heißen?«, fragt er verdutzt.
»Sie himmelt dich an«, sage ich vorwurfsvoll.
Da legt mein Onkel den Kopf in den Nacken und lacht so laut, dass der Wald jäh in Bewegung gerät; von den Baumkronen bis ins Unterholz setzt eine raschelnde, piepsende Flucht kleiner Tiere ein und ich stehe entzückt und verwundert dabei, als wäre mir ein spektakulärer Zaubertrick geglückt.
»Jetzt weiß ich, was du Lexi geschrieben hast!«, ruft Max. »Noch nicht!«, entgegne ich. »Ich wollte dir noch eine Chance geben!«
Ein federleichter, wundervoller Moment spannt sich zwischen uns, dann wird mein Onkel wieder ernst. »Fey«, sagt er, »hat in Italien zwei kleine Buben, zwei und drei Jahre alt, die ihr buchstäblich aus den Armen gerissen wurden, einen jungen Ehemann, in den sie noch ganz frisch verliebt und der ohne jedes Lebenszeichen von ihr und den Kindern ist. Sie hat einen Vater, den sie innig liebt und von dem man behauptet, dass er gehenkt wurde ...«
»Schon gut, ich verstehe«, murmele ich beschämt.
»... und der alte Max«, fährt er unbeirrt fort, »sitzt hier wie die Made im Speck, während seine Frau Tag und Nacht ihr Leben aufs Spiel setzt – in einem Dienst,mit dem sie sich schützend erst vor ihre Eltern und Geschwister stellen konnte und nun auch vor uns. Was glaubst du, worüber Fey und ich reden, Fritzi?«
Niedergeschlagen schiebe ich die Hände in die Taschen der warmen Winterjacke, die Lexi für mich organisiert hat, und antworte nicht.
»So wunderbar es ist, dass sie die Gefangenen versorgen darf«, sagt Max, »wann schläft sie eigentlich? Nachts ist sie mit Flugschülern in der Luft, tags rennt sie für uns von einer Behörde zurnächsten. Lexi ist keine zwanzig mehr, so etwas steckt sie nicht einfach weg. Nicht«, fügt er beim Blick in mein bestürztes Gesicht hinzu, »dass sie das je zugeben würde!«
»Ich habe um nichts gebeten«, erkläre ich leise, aber heftig.
Max legt mir die Hand auf den Rücken. »Ich weiß, dass ich nicht der Einzige bin, der sich sorgt. Und ich freue mich, dass du ihr schreibst.«
»Lexi sagt, es sei der Name von Lautlitz, der ihre Familie geschützt hat.«
»Das«, erwidert er, »würde sie gern glauben. Aber sie ist nicht wegen ihres Namens zur Luftwaffe kommandiert worden. Sie ist kommandiert worden, weil sie sich als Ingenieurin so verdammt verdient gemacht hatte, dass das Reich trotz fehlenden Ariernachweises nicht auf sie verzichten wollte. Das kam auch ihrer Familie zugute. Hätte sie sich dem entziehen können? Wir waren damals der Meinung: nein. Wenn man zum Kriegsdienst gerufen wird, spielen persönliche Abneigungen gegen die Machthaber keine Rolle. Dann geht es ums Vaterland, ums ganze Volk, dann hat man anzutreten. Das galt auch für mich.«
Er bleibt stehen und zündet sich eine Zigarette an. »Hätten wir wissen müssen, wohin das alles führt? Nächste Frage, Fritzi! Ich habe keine Antwort darauf.«
»Ich glaube«, höre ich mich stockend sagen, »man kann nicht alles vorher wissen. Wissen kommt doch erst vom Lernen. Und es gibt so viel, das sie einem eintrichtern, dass man gar nicht mehr nachdenkt, nur noch lernt und immer mehr in seinem Kopf herumträgt, ohne zu fragen, ob es eigentlich stimmt. Es
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