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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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steckt da drin fest, und wenn man eines Tages selbst überlegen und entscheiden muss, findet man zuerst nur noch das. Lauter fremde Gedanken.«
    »Donnerwetter«, meint Max und sein Gesicht hellt sich auf, doch bevor er dazu kommt, etwas zu erwidern, biegen zwei Frauen aus einem Seitenweg in den unseren, deren Anblick ihm einen leisen, verblüfften Pfiff entlockt.
    Die beiden sind so in ihr Gespräch vertieft, dass sie uns erst bemerken, als sie nur noch wenige Meter entfernt sind. Nanni wird tiefrot und lächelt uns im Vorbeigehen glücklich zu. An ihrem Arm spaziert Frau Kuhn!
    Wir sehen ihnen lange nach. »Es macht Schule«, sagt mein Onkel leise. »Es sieht aus, als sei noch jemand umgekehrt, nicht wahr?«
    An diesem Abend kommt Nanni in unser Zimmer, um es Mutter und mir zu erzählen. Die Eltern Kuhn wollen ihr und Joachim nicht mehr im Wege stehen. Es sei ein großer Fehler gewesen, die Verlobung zu lösen; sie hätten durch ihren Starrsinn zwei junge Menschen unglücklich gemacht und wünschten sich jetzt nur noch eins: dass Nanni der Versöhnung zustimme und ihre Schwiegertochter werde, sobald der Krieg vorüber und ihr Sohn aus der Gefangenschaft zurückgekehrt sei.
    Es kann nicht falsch sein, sich mit der Wachmannschaft gut zu stellen, denke ich, als ich Obersturmführer Klotz nach seinen drei Kindern frage. Es kann nicht schaden, ihn zu grüßen und ein freundliches Gesicht zu machen, mich jeden Tag ein paar Minuten mit ihm zu unterhalten, selbst wenn er nur wieder in mich dringt, dass ich Vater für sein Tun verdamme. Es kann nicht schaden, dazu beizutragen, dass die Wachmannschaft uns gewogen bleibt. Die Bitte, die Sonntagsmesse im Dorf zu besuchen, wird abgelehnt, ansonsten lassen sie uns mittlerweile tun, was wir wollen. An manchen Tagen bekommen wir sie kaum zu Gesicht.
    Fey erteilt Italienisch-Unterricht, Julius und Markus organisieren ein Schachturnier, Max hält Vorträge. Ich bin das Vorprogramm zum Thema »Illusionen« – ich zeige einige Zaubertricks und bringe damit alle zum Lachen. Dr. Goerdeler erhält Medikamente, um Onkel Jasper zu behandeln, Nanni darf die Hotelküche benutzen, um ihm Tee und Diätkost zuzubereiten. Ina und Tante Adele reden heimlich auf Russisch mit den Kellnern, allesamtFremdarbeiter, die den Kriegsverlauf mit stiller Freude beobachten. Sie sind fest überzeugt, bald zu ihren Familien zurückkehren zu können.
    Als wir aus einem Brief erfahren, dass der Großvater aus Walcheren nicht mehr kommt, als wir um eine Kerze für ihn bitten und Onkel Jasper, sein Sohn, ein Bibelwort vorliest, steht die Wachmannschaft betreten im Hintergrund. Vielleicht ist selbst ihnen unerklärlich, weshalb ein vierundachtzigjähriger, nachweislich unschuldiger alter Mann, dessen einzige Verfehlung darin bestand, das Familienoberhaupt derer von Lautlitz zu sein, im Gefängnis in Würzburg sterben musste.
    Der Inhalt einer Rede kommt mir erst jetzt zu Ohren, einer Rede, die Himmler schon im August vor Gauleitern in Posen gehalten haben soll. Unser Blut sei schlecht, behauptet er, Verräterblut, und die Sippe der Grafen von Lautlitz werde »ausgelöscht bis ins letzte Glied«. Doch es wird Winter und uns geschieht nichts, wir bleiben allein mit unseren Bewachern und dem Hotelpersonal, nur einmal machen für wenige Tage weitere Familien in der Baude halt, mit denen uns jeder Kontakt streng verboten wird. Sie sind Angehörige der Armee des Generals von Seydlitz, der sich – entgegen Hitlers ausdrücklichem Befehl – mitsamt seinen Soldaten in sowjetische Kriegsgefangenschaft begeben hat.
    Die Seydlitz-Familien werden weitertransportiert, wir dürfen bleiben. Der General ist wegen der Befehlsverweigerung in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden.
    Nein, es kann nicht schaden, sich mit der Wachmannschaft gutzustellen.
    Seit dem langen Spaziergang mit Max träume ich kaum noch von Piotr, dafür manchmal von meinem Vater, und ich träume in so klaren, lebhaften Bildern, dass ich sicher sein kann, sie wirklich erlebt zu haben. Vater steht unter einer Kletterstange und fängt mich auf, er hebt mich in ein Ruderboot, er rennt neben meinem Fahrrad her, während ich panisch in die Pedale trete und schnellerund schneller werde. Da pflückt er mich mit einem einzigen Griff vom Rad und nimmt mich in den Arm!
    »Du redest gar nicht mehr im Schlaf«, sagt Mutter wie nebenher.
    Ich bekomme einen lustigen, kurzen Brief von Lexi und einen Auftrag: »Gib Max einen Kuss von mir, ich darf ihn noch nicht besuchen,

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