Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
lächeln? Es wäre ein Friedensangebot. Ich bin jedoch an Frieden nicht interessiert. Also beiße ich in eine Baguettescheibe und hoffe, dass meinem Gegenüber die glühenden Wangen dahinter nicht auffallen.
Kaum ist der Suppenteller wieder unter unseren Händen weggezogen, verstärken sich die Gespräche der anderen am Tisch. Moritz und ich schweigen. Und wenn es sein muss, bis zum Steak! Komischerweise nehme ich Moritz intensiver wahr als so manchen Mann, mit dem ich mich tatsächlich unterhalten habe. Meine Finger kribbeln. Ich will hier nicht sein. Und weg will ich auch nicht.
Frauen kann man nicht verstehen.
Ich bin eine und habe keine Ahnung von mir.
Als sich die Blondine am Kopf des Tisches erhebt, wahrscheinlich, um auf Toilette zu gehen, wittere ich meine Chance, nur mal ganz kurz neben Gerry Platz zu nehmen, nicht zuletzt, um dieser eigenartigen Situation zu entkommen. Ich bin schon dabei, die Stuhlbeine über das Parkett hinter mir zu schieben, als ich bemerke, dass sich besagte Blondine gar nicht in Richtung Toilette, sondern auf mein ungesprächiges Gegenüber zubewegt. Sie legt ihre langen, dünnen Arme um seine Schulter, wodurch ihre glänzenden Haare in ihr Gesicht rutschen. Ganz tief beugt sie sich von hinten anMoritz’ Ohr und schürzt die Lippen, worauf dieser kleine Fältchen um die Augen bekommt. Ich schiebe meinen Stuhl wieder an den Tisch ran. Gerry ist vergessen. Das scheint er sogar selbst gerade zu bemerken. Gerry beugt sich nach vorn und verkündet über die ganze Tafel:
»Immer diese Fotografen und ihre geheimnisvolle künstlerische Art! Wirken wie magnetisch auf die Frauen.«
Ich presse meine Lippen aufeinander, die Blondine öffnet ihre zu dem Hauch eines Kusses. So schnell sie gekommen war, so schnell ist sie wieder auf ihrem Platz, wahrscheinlich weil Gerry langsam ungeduldig wird; das Lächeln um Moritz’ Lippen bleibt. Irgendwie macht es mich wahnsinnig, dieses selbstverliebte In-sich-hinein-Grinsen, so dass ich für einen kleinen Augenblick vergesse, weiter meine Lippen aufeinanderzupressen.
»Die geheimnisvolle künstlerische Art scheint sich mit einer Kompetenz zur Konversation nicht sonderlich gut zu vereinen? Aber was will man von einem Künstler auch anderes erwarten.«
Moritz’ Gesicht bleibt unbewegt. Kein Zucken der Brauen, kein Runzeln, keine Fältchen, selbst das Lächeln fällt ihm nicht aus dem Gesicht.
»Ich habe nicht gewusst, dass du an einer Konversation interessiert bist.« Seine Stimme klingt friedvoller, als sein Blick es erwarten lässt.
»Ich habe nicht erwartet, dass du so etwas kannst.«
Moritz stützt sich auf seine Ellenbogen und sieht mir in die Augen, bevor er weiterspricht, als wolle er den Krieg an visueller Front bestreiten. Dann wird sein Blick plötzlich weicher.
»Mein Name ist Moritz Winsberg. Ich bin Fotograf, besuche gern Ausstellungen, mag Graffitikunst und Musikfestivals und Extremsportarten in freier Natur. Letztes Jahr war ich in Wacken, einwunderbares Erlebnis. Man mag es kaum glauben, aber dort trifft man die verrücktesten Frauen. Ich lese gern. Ich habe gern Sex. Ich pinkele im Stehen und sehe nachts Shoppingkanäle, weil ich dabei am besten einschlafen kann. So. Und du?«
Seine Miene bleibt unberührt von der Bewegung seiner Lippen. Meine Hand wandert über das steife weiße Tischtuch zum Rotweinkelch, entscheidet sich im letzten Moment jedoch für das Wasserglas daneben. Alkohol ist der Feind des klaren Verstands. Moritz hingegen lässt mich nicht aus den Augen und fordert mit fokussiertem Blick eine Antwort.
»Ich habe eigentlich keine wirklichen Hobbys. Ich schreibe gern … und gehe gern joggen (was eine Lüge ist) … und koche auch, aber nur so nebenbei und … Kochst du auch?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Ich lebe nur für Dinge, für die ich eine Leidenschaft entwickeln kann.«
Boa! Was für ein Spruch. Ich verdrehe die Augen hinter den flirrenden Wimpern, was Moritz nicht davon abhält weiterzureden.
»Klingt langweilig, dein Leben. Sind das die verrücktesten Sachen, die du so unternimmst?«
Darauf habe ich keine Antwort. Ich greife zum Alkohol. Feind für Verstand hin oder her. Und außerdem, in der Bibel steht, dass man auch seine Feinde lieben soll.
»Ist die Konversation schon wieder beendet?«, fragt Moritz.
»Stille ist doch etwas sehr Schönes. Das Nichtreden wird wirklich unterschätzt.«
*
Bei einem kompletten Steak mit kleinen Kroketten und überbackenen Brokkoliröschen lernen wir
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