Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
15:24
Hey Süße! Alles klar bei dir? Schreib doch, dass du meiner Tochter immer wunderschöne Kindergeschichten erzählst. Mit grausamem Ende, bei dem sich einer der Protagonisten meist umbringt, weil ihm das Leben zu kompliziert, zu aufregend oder zu langweilig geworden ist!
Lena 15:25
Oder schreib, dass du Bach und Mozart beim Joggen hörst, was ich im Übrigen ziemlich eigenartig finde!
Lena 15:25
Oder dass du alle Anschreiben an die Redaktion unbeantwortet lassen wirst, weil du unbedingt allein bleiben möchtest!
Lena 15:27
Oder dass mein Leben ohne dich wie ein leerer Schuhkarton wäre ;-)
Lena 15:29
Ich muss Schluss machen, Süße! Thomas und diese Suppenküchenmona schreien sich gerade auf der anderen Straßenseite an. Muss sehen, was los ist! Das mit dem Artikel schaffst du auch ohne mich!
Meine Finger fliegen über die Tastatur in dem Versuch, Lena noch etwas länger hinter ihrer Theke am Laptop zu halten und damit Thomas mehr Zeit zu verschaffen. Ich verzichte jedoch im letzten Moment darauf, es abzuschicken. Meine Augen verharren auf dem Geschriebenen, bis ich mich entschließe, dem Schicksal und Lena ihren Lauf zu lassen. Auf meinem Computerbildschirm blinkt ein Fenster. Alex antwortet.
Alex 15:32
Wenn ich dich in dem beschreiben soll, was dich von all den anderen Frauen unterscheidet, die ich kenne, dann ist es deine verantwortungslose Art, mit Männern umzugehen.
Anna 15:33
?
Alex 15:33
Du willst Männer, aber bitte ohne Verantwortung!
Anna 15:34
Ist das gut oder schlecht?
Alex 15:34
Was ist das für eine Frage! Eine Frau, die einen nicht festnagelt auf die nächsten dreißig Jahre Eheglück. Kleines, du bist ein Männertraum!
Anna 15:34
Da bin ich mir nicht so sicher.
Alex 15:35
Aber mal etwas ganz anderes. Ich gucke mir heute ein paar Immobilien an. Kommen du und dein weibliches Gen für Interieur mit?
Anna 15:36
Mein weibliches Gen für Interieur? In meiner Küche passt kein Stuhl zum anderen, meine Bilder stehen auf dem Fußboden, statt an der Wand zu hängen, um mein Sofa herum befindet sich eine Ansammlung der letzten 36 000 Ausgaben von Reise-, Wirtschafts- und Kunstmagazinen, und mein Kühlschrank steht mit einer Ecke auf der Bibel, damit er nicht wackelt!
Alex 15:39
Okay. Du hast gewonnen. Eigentlich wollte ich nur wissen, ob man in der neuen Wohnung zu zweit im Fensterrahmen sitzen kann, so wie wir es damals in deiner alten WG in Lindenthal gemacht haben. Ob man mit mehr als einer Person unter die Dusche passt und ob du glaubst, dass die Briefkästen im Hausflur sich dazu eignen, die Post herauszufischen, um auf deine Art liebsame Nachbar(inne)n kennen zu lernen.
Anna 15:42
Verstehe!
Alex 15:42
Und?
Anna 15:43
Ich bin dabei!
Als ich Herrn Bender auf mich zusteuern sehe, schließe ich meinen Facebookaccount und merke, wie sich mein Puls leicht erhöht, ohne die Ursache dafür genauer ausmachen zu können.
Vielleicht liegt es an den feinen Gesichtszügen meines Chefs.
Vielleicht liegt es daran, dass heute mein erster Tag ist.
Vielleicht aber auch daran, dass ich ihm gleich nicht wirklichetwas Konstruktives, etwas sechs Arbeitsstunden Entsprechendes bezüglich meines Artikels vorweisen kann.
Herr Bender bewegt sich langsam auf mich zu, während der Anzug an seinem schlaksigen Körper durch dessen Bewegung eine sonderbare Eigendynamik entwickelt. In ungewöhnlich großem Abstand bleibt er vor meinem Schreibtisch stehen und lächelt höflich.
»Guten Tag, Frau Lenartz. Bitte entschuldigen Sie, dass ich erst jetzt Zeit finde, Sie mit besonders großer Freude in unserem Redaktionsteam zu begrüßen. Bitte nehmen Sie es mir nicht übel und unter gar keinen Umständen persönlich, da ich gar nicht ausdrücken kann, wie glücklich wir alle sind, dass Sie nun zum MeMa gehören. Also, noch mal ganz offiziell: Herzlich willkommen!«
Ich lehne mich auf der Schreibtischkante nach vorn und lächle zurück.
»Vielen Dank. Ich freue mich auch sehr und hoffe, dass ich Ihre Erwartungen nicht enttäuschen werde.«
»Hey, Sie sind die T-Bone-Steaks-wachsen-aus-Pflanzenkübeln-Frau!« Von jedem anderen hätte ich jetzt eine witzige Geste mit den Händen oder ein Augenzwinkern erwartet, Herrn Benders Tonlage ist jedoch todernst.
»Würden Sie heute Abend mit einigen Kollegen und mir essen gehen? Es ist ein Geschäftstermin mit wichtigen Kunden und Geldgebern, daher würde es sich als passend anbieten, Sie einigen Menschen vorzustellen.«
»Sehr gern«, antworte ich, etwas
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