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Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke

Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke

Titel: Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Möller
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überrumpelt, was mein Zurückweichen in den Schreibtischstuhl einem aufmerksamen Beobachter verrät.
    »Keine Sorge. Sie sind ein Gewinn«, verabschiedet sich Herr Bender mit einem Schritt zurück.
    Mist. Er war ein aufmerksamer Beobachter. Ich würde an mir arbeiten müssen.
    »Ach, und haben Sie das Foto von sich gesehen, das Moritz für Ihren Artikel ausgesucht hat?«
    »Nein. Noch nicht.« Urplötzlich kehrt diese Hitze in meinen Körper zurück.
    »Er hat es gerade per Mail geschickt.«
    »Okay«, sage ich monoton und versuche, noch eine Reaktion auf Herrn Benders Gesicht zu erhaschen, der jedoch mit seiner Meinung bezüglich des Fotos und seines Anstands, diese nicht zu äußern, zwischen den Schreibtischen einiger Kollegen und in seinem Büro verschwindet. Mein Blick wandert zu Moritz, der meine Unterredung mit Herrn Bender beobachtet haben muss. Zu schnell neigt sich der Kopf auf die Fotomappe vor seinem Computer. Irgendetwas sagt mir, dass er den Schnappschuss gewählt hat, auf dem ich aussehe wie eine Zitrone und von dem ich auch noch behauptet hatte, dass dies meiner Persönlichkeit sehr nah komme. Und jetzt hat Herr Bender diese Seite von mir auch noch vor mir gesehen, so dass jedwede Intervenierungsmaßnahmen als eitel verpönt werden würden. Ich nippe an einer Tasse Tee, während mir der Gedanke kommt, dass ich das ja auch gar nicht bin. Ich bin kein Model! Ich bin die T-Bone-Steaks-wachsen-aus-Pflanzenkübeln-Frau. Im Gegensatz zu Herrn Bender bringt mich diese Vorstellung zum Lächeln. Ich klicke also sichtlich entspannt auf den Anhang von Moritz’ E-Mail, öffne das Foto und merke, dass sich ›sichtlich entspannt‹ als absolut unangebrachte Reaktion erweist.
    *
    Während Alex in dunklem Rollkragenpulli und graumelierter Faltenhose eine kritische Haltung einnimmt, um den Makler noch weiter in Richtung Küchenwand zu drängen, starre ich auf einen tiefschwarzen Fleck mit haarigen Beinchen auf der schneeweißen Tapete.
    »Ist das hier eine Spinne?«, frage ich die Wohnung und dann leiser in Richtung Insekt. »Komm her, Kleine.«
    Langsam krabbelt sie auf meine ausgestreckte Handfläche, die ich unter ihren dicken Körper schiebe. Meine Haut kribbelt unter ihren Beinchen. Ich bin schlagartig wieder sechs Jahre alt und blicke zu meinem Vater auf, wie er mir erklärt, dass es Schmetterlinge gibt, die ihre Flügel in Beinchen verwandeln, damit sie besser laufen können. In der leeren, frisch renovierten Vierzimmerwohnung breitet sich der Geruch von Gras und Löwenzahn aus.
    »Was machen Sie denn da?«, nehme ich die Stimme des Maklers wahr, während ich die Spinne auf der offenen Handfläche zu einem Fenster trage.
    Alex räuspert sich.
    »Oh. Stören Sie sich und sie nicht. Meine Freundin ist etwas sonderbar … ich meine, vor allem, was Spinnen angeht.«
    Ich öffne mit der freien Hand ein Fenster und lasse die Spinne auf einen angrenzenden knorrigen Ast einer Kastanie klettern.
    »So?«, meint der Makler, ohne mich aus seinem irritierten Blick zu lassen, »vielleicht lasse ich sie kurz alleine, dann können Sie die Räume noch mal in aller Ruhe auf sich wirken lassen.«
    »Eine ausgezeichnete Idee«, antwortet Alex und setzt mich, noch ehe der Makler entschwunden ist, mit einem sanften Griff in meine Taille in den Fensterrahmen. Die Blätter der Kastanie werfen weiche Schatten auf sein Gesicht, nachdem er ebenfalls auf die innen liegende Fensterbank gerutscht ist. In die Haut um seine dunklenAugen graben sich kleine Fältchen wie in seine Anzughose, die im Fensterrahmen knautscht.
    »Und? Wie gefällt dir die Immobilie?«
    »Ganz gut. Aber vielleicht ein bisschen groß.«
    »Ich denke, sie ist genau ausreichend für meine Zwecke.« Alex verlässt so schnell seinen Platz am Fenster, wie er ihn eingenommen hat und schreitet einige Schritte durch den Raum. »Ein Schlafzimmer, ein Arbeitszimmer, ein Wohnzimmer und ein Zimmer für meinen Stammhalter!«, erklärt er, mir den Rücken zugewandt, so dass er nicht sehen kann, wie ich gerade fast aus dem Fenster falle.
    »Entschuldige, ich habe dich gerade nicht ganz verstanden. Wer soll das vierte Zimmer bekommen?«
    Alex dreht sich zu mir um.
    »Das Baby.«
    »Das Baby«, wiederhole ich in Richtung Kastanie, als wolle ich es der kleinen Spinne weitererzählen. Alex’ Zustand scheint bewusstseinsklar, die geistigen Fähigkeiten nicht weiter eingeschränkt sowie eine zeitliche und räumliche Orientierung ohne Beeinträchtigungen. Dennoch betrachte ich

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