Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
als sie mit sechs Jahren auf ihrem hellblauen Fahrrad in die Hagebuttenbüsche gejagt ist, hat sie ihre kleinen Zähnchen zusammengepresst.
»Ich … ich engagiere mich neuerdings für ein Hilfsprojekt, das die Palliativmedizin in Kinderkrankenhäusern stärkt. Darf ich darüber vielleicht ein bisschen reden?«
*
Nachdem Christina lange genug von krebskranken Kindern, der Arbeit als Topanwältin und ihrem kleinen Häuschen am Rhein erzählt hat, um bei mir ein Magengeschwür von stattlicher Größe anwachsen zu lassen, schalte ich das Diktiergerät wieder ab und mache mich auf die Suche nach Moritz. Ich entdecke ihn vor dem Büro auf einer Holzbank in der Sonne. Auf seinen Knien ruht ein Laptop mit unzähligen Fotos von irgendeinem Restaurant aus der Südstadt. Akribisch starrt er auf den Bildschirm und fährt mit der Maus darüber, während er mit der anderen Hand zu einem Glas greift, in dem Pfefferminzblätter schwimmen, und kleine Schlucke trinkt. Seine Augen sind von einer Pilotenbrille mit verdunkelten Gläsern bedeckt, wodurch es mir umso schwerer fällt, Moritz und seine Laune einzuschätzen.
Denkt er mittlerweile von mir, dass ich völlig durchgeknallt bin?
Meine Schritte gen Moritz über knirschenden Kies werden kleiner, die Erinnerungen an unsere gemeinsamen Erlebnisse größer. Ich bleibe abrupt stehen, als mir sein nackter Oberkörper in den Sinn kommt. Seine Hände greifen nach mir, umschließen die Haare in meinem Nacken und ziehen mich an sich heran, bis unsere nackten Oberkörper sich berühren, unsere Lippen sich treffen …
»Anna. Und? Ist die Sofaschlacht beendet?«
Moritz nimmt die Brille von der Nase und sieht mich mit leicht zusammengekniffenen Augen an.
»Was soll das? Bist du etwa sauer?«
»Anna, du kannst doch nicht deine privaten Probleme am Arbeitsplatz austragen. Das ist derart unprofessionell. Klär die Scheiße doch, bevor du die Neue deines Ex zu einem Interview einlädst.«
»Ich dachte, ich hätte die Sache unter Kontrolle, okay?«, fahre ich Moritz an.
»Na, das hat man ja gesehen. Und genau deswegen trenne ich Berufliches und Privates!«
Verlegen fahre ich mir mit der Hand durch den Pony und weiche Moritz’ Blick aus.
»Ja. Ich wollte nur … ich meine, du kannst jetzt deine Fotos machen und … es tut mir leid.«
»Wofür entschuldigst du dich?«
Ich weiß es selbst nicht genau. Irgendetwas in mir drin sagt mir nur einfach, dass es mir leid tut.
»Dafür, dass ich sonderbar bin.«
Moritz klappt den Laptop zu, schiebt ihn sich unter den Arm und greift nach seinem Teeglas. Ohne mich weiter zu beachten, schlurft er über den Kies und nippt an seinem Pfefferminztee. Ich hingegen stehe wie angewurzelt da und weiß nicht wirklich, was ich machen soll. Als Moritz die Tür zum Studio öffnet, dreht er sich noch einmal zu mir um.
»Mach so was einfach nie wieder. Um deinetwillen. Nicht um meinetwillen.« Und schließlich fügt er noch mit etwas sanfterer Stimme hinzu: »Ach, und nimm dich nicht wichtiger, als du bist. Überlass das doch mir.«
*
Die nächsten zwei Stunden ist Moritz unglaublich charmant zu Christina. Er würde es wahrscheinlich professionell nennen. Ich nenne es zum Kotzen. Was soll das? Moritz schafft es mittels sonorer Stimme mit sanftem Inhalt, Christina zu einem verführerischen Lächeln zu bringen, während sie ihre Haare in den Nacken wirft oder mit leicht angewinkeltem Kinn und weit aufgeschlagenen Augen zu Moritz und seinem Objektiv hinaufschaut.
Sie ist entspannt.
Ich verspanne.
Mein Rückgrat fühlt sich an, als würde es gerade an ein wunderschön starres Brett angepasst, während ein Gefühl, das ich in all dem Durcheinander um Frederik und Christina nicht verspürt hatte, sich jetzt so rasend in mir ausbreitet, als wolle es meine roten Blutkörperchen zum Schmelzen bringen.
Als Kinder haben wir mit Kreide in krakeligen Buchstaben auf den Asphalt geschrieben: Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft.
Als Erwachsene verstehen wir, was da auf dem Asphalt geschrieben stand.
Dieses Gefühl gehört eigentlich nicht zu meinem Repertoire. Umso heftiger trifft es mich jetzt. So wie die erste Zigarette.
Ich versuche mir einzureden, dass sich mein Emotionszentrum aufgrund einer Fehlfunktion zu irgendeiner Überproduktion hinreißen lässt, für die es keinen objektiven Grund gibt.
So ist es doch, oder?
Ich meine, Christina hat ja schon Frederik. Sie würde sich doch sicher nicht auch noch Moritz
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