Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
möglich hinter sich. Und mir vor Christina eine Blöße zu geben, das kommt schon gar nicht in Frage. Darum schiebe ich meine Brust heraus und schnappe mir das Diktiergerät, welches mir dieses Mal der Verlag zur Verfügung stellt – die verschweißte Folie, die ich eigenhändig löse, garantiert, dass sich hierauf ganz sicher kein Exfreund befindet –, als Moritz meint: »Okay, dann fängst du an, und ich mache schon mal ein paar Schüsse von euch.«
»Kein Problem.«
Noch ein Problem. Mein Rücken wird immer gerader, die Fassade immer fester. Warum muss mich der Mann, dem ich allem Anschein nach gerade ohne guten Notfallplan verfalle, neben dieser atemberaubend schönen Frau auf einem Foto festhalten! Das ist so, wie den kleinen Mischlingshund neben der reinrassigen Züchtung in ein Gehege zu werfen und dann den Käufer fragen: »Und, wen von beiden wollen Sie die nächsten zehn bis zwanzig Jahre lieben?« Der Mischling kann nur verlieren!
Ich atme noch einmal tief durch. Anna, du bist keine sechs Jahre mehr! Heulen kommt also nicht in Frage. Irgendwie schade.
Während ich neben Christina auf dem Sofa Platz nehme und mir ihr frischer Sommerduft entgegenschwappt, versuche ich, nicht an Frederik und sie und das Vergangene zu denken. Wäre ich ein sechsjähriges Mädchen, ich würde Christina wahrscheinlich ein stattliches Büschel Haare ausreißen und sie mit meinen kleinen gemeinen Kinderhändchen vom Sofa stoßen, um dannin die Kamera zu lächeln, um mich zu versichern, dass der Fotograf auch alles drauf hat. Für einen kurzen Moment überlege ich, ob dies nicht doch ein probater Umgang wäre. Mit dem Einschalten des Diktiergerätes besinne ich mich jedoch darauf, dass wir Erwachsenen diese Probleme ja nicht mit Gewalt lösen, sondern indem wir darüber reden.
Wir reden.
Zumeist jedoch nicht über das Problem.
»Also, dann noch mal ein herzlichstes Willkommen, Frau Steiner.«
»Mein Gott, jetzt sag doch Christina!«
»Ich bleibe lieber bei Steiner, danke. Was für ein schöner Nachname.«
»Anna, jetzt lass das doch.«
Moritz schiebt seinen Kopf hinter dem Stativ hervor. »Ihr wirkt beide ein bisschen steif. Gibt es die Möglichkeit, ein wenig mehr zu lächeln?«
Da die Mienen der Damen auf dem Sofa unverändert bleiben, zieht Moritz nur kurz die Brauen hoch und sich selbst hinter sein Objektiv zurück.
»So. Wie schön. Privates Glück und beruflicher Erfolg. Es hört sich fast perfekt an. Lässt sich das denn so gut miteinander vereinbaren? Ich meine, jetzt hast du doch sicher unglaublich viel um die Ohren. Ehemann, Job, Kinder.«
»Was denn für Kinder? Das ist nicht geplant. Ich werde Ende nächsten Monats zur Partnerin bei Jakob & Sohn ernannt.«
Christina und ich funkeln uns an. Natürlich kann sie sich denken, dass ich weiß, dass sie schwanger ist. Und uns beiden ist auch klar, dass sie und ich in diesem Moment wissen, dass die Beförderung bei Jacob & Sohn in ihre Einzelteile zerfällt, wenn Anfangnächsten Monats in der MeMa steht, wie sehr sich Frau Steiner auf ihr erstes Kind freut.
Mmmmmmm.
Wie sagte doch schon einst mein Vater:
Das Leben besteht nie nur aus Regenwolken oder Sonnenschein. Tatsächlich teilen sich die beiden den Himmel.
Ich verenge meine Augen zu kleinen Schlitzen.
»Lass uns doch mal über ein ganz anderes nicht minder interessantes Thema sprechen.«
Christinas Körper schiebt sich fast unbemerkt von mir weg in die Sofalehne.
»Ich dachte, ein schöner Aufhänger für den Artikel über dich wäre das grobe Überthema Loyalität.«
Die Mundwinkel an ihren schönen, dicken Lippen zucken.
»Loyalität?«
»Ja. Was denkst du darüber? Ist das ein antiquierter Begriff? Kann man sich das überhaupt noch leisten? Und wozu überhaupt?«
»Ich …« Christina schiebt sich eine blonde Haarsträhne hinter das Ohr und ruiniert damit irgendwie die Eleganz der gesamten Frisur. »Ich weiß nicht genau, was du meinst.«
»Entschuldige, ich hab mich wahrscheinlich nicht verständlich genug gemacht. Aber vielleicht ist es auch einfach nicht dein Spezialgebiet. Mit dem Wort Loyalität umschreibt man wohl die innere Verbundenheit gegenüber einem anderen Menschen, der einem in irgendeiner Weise wichtig ist. Es bedeutet, die Werte des anderen zu vertreten, auch wenn man sie nicht umfänglich teilt. Loyal ist man dem gegenüber, dem man sich verbunden fühlt und vertritt dessen Werte auch Dritten gegenüber.«
Christina und ich blicken uns starr an, während das Blitzlicht um
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