Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
als Lena.
»Nun ja, ich treffe ihn öfter … Seht mich nicht so an, letztendlich tut es auch meiner Ehe gut. Seitdem bin ich viel ausgeglichener, und Thomas und ich streiten viel weniger.«
»Hast du kein schlechtes Gewissen?« Astrid gießt großzügig nach und zieht sich ein T-Shirt mit einem Hello-Kitty-Aufdruck über die Hüfte. Ihrem gespanntem Blick nach zu urteilen, den sie Lenas Lippen statt dem Flaschenhals der Champagnerflasche widmet, ist ihre Frage mehr von Neugier denn von Vorwurf geprägt. Lena hingegen klopft sich ein Sofakissen zurecht und lehnt sich mit ihrem Rücken dagegen.
»Hat Thomas denn ein schlechtes Gewissen, wenn er mit seinen Kumpels die Nacht in der Kneipe verbringt, die Wochenenden im Stadion und jeden zweiten Abend auf dem Fußballplatz? Hat er ein schlechtes Gewissen, wenn er zum vierten Mal in Folge unseren Hochzeitstag vergisst und ich mir an meinem Geburtstag mein Geschenk selbst aussuchen muss und anschließend mit meiner Kreditkarte bezahlen darf, weil für Thomas die letzten Tage ja so unendlich stressig waren? Hat mein Mann ein schlechtesGewissen, wenn ich seine gesammelte Mischpoke an allen dämlichen Feiertagen des Jahres an meinem Küchentisch sitzen habe, während Thomas geschlagene dreieinhalb Stunden unterwegs ist, um eine Kiste Wasser zu besorgen oder zweihundert Kilometer weit weg ein Pfund irische Butter kauft? Ich lasse Thomas nicht hängen! Ich mache nur etwas Schönes in der Zeit, in der er mich hängen lässt.«
Astrid und ich blicken uns schweigend an, bis wir schließlich selbst aufs Sofa sinken. Uns ist deutlich anzusehen, dass wir soeben Gesagtes noch auf seine Plausibilität hin überprüfen, da Lena mit ihrer Argumentation eigenartigerweise nicht vollkommen absurd wirkt.
»Das bedeutet«, fange ich mich als Erste, »du vergleichst Fußballspielen mit Fremdgehen? So gesehen wäre es auch egal, ob Thomas nach Feierabend an seinen Fußballschuhen oder an den Brüsten einer anderen Frau rumfummelt?«
»Ha! Ich bitte dich. Thomas und eine andere Frau! Das ist doch absolut albern.«
»Ja. Absolut«, sage ich.
*
NOTFALLPLAN NO. 8
ART DES VORFALLS: GEWISSENSKONFLIKT GEGENÜBER BESTER FREUNDIN
SCHWERE: DURCHAUS DURCH GEWISSE EIGENDYNAMIK IM SPÄTEREN VERLAUF NOCH ALS SCHWER ZU BEZEICHNEN
MAßNAHMENKATALOG:
1. ANNA, ERINNERE DICH DARAN, DASS LÜGEN SCHEIßE IST!
2. SUCHE NACH GEEIGNETEN WORTEN STARTEN
3. SICH KLARMACHEN, DASS DINGE HEIßER WERDEN, JE LÄNGER SIE AUF DER EINGESCHALTETEN HERDPLATTE STEHEN
4. DAS SCHLECHTE GEWISSEN DAMIT BERUHIGEN, DASS MAN JA GAR NICHTS MIT DER SACHE ZU TUN HAT, NUR DUMMERWEISE DAVON WEIß
5. HANDELN!
ZEITPLAN: JETZT
KONTAKTPERSON: JENER SACHBEARBEITER, DER FÜR DIE GERECHTE VERTEILUNG VON GUTEM KARMA ZUSTÄNDIG IST, ODER MACHT MAN SO WAS MAL WIEDER FÜR LAU?
*
Ich atme kurz tief ein, beuge mich auf dem Sofa nach vorn und suche Lenas Blick.
»Lena. Meinst du nicht, dass Thomas … ich meine nicht, ist dir nicht aufgefallen … Was ich sagen will, ist … Also, eine Affäre! Dein Thomas! Nein, nein, nein, also, das kann ich mir auch überhaupt nicht vorstellen!«
Ja. Ja. Ja. Ich bin eine feige Frau!
Und zeitgleich kann ich es mir auch tatsächlich überhaupt nicht vorstellen.
*
Zwei leere Flaschen Rotwein später, und Astrids Wohnung spuckt uns wieder aus. Lena und ich stehen im Licht, das aus der Erdgeschosswohnung die Straße erhellt, und warten auf Thomas, der jeden Moment die Straße entlanggefahren kommen muss. Er war ganz in der Nähe, um etwas zu erledigen. Mein Blick wandert zurnächsten Kreuzung, während ich mich an die noch von der Sommersonne aufgewärmte Hauswand lehne. Aus den kleinen Seitenstraßen dringen Geräusche von Menschen, die die wohlige Kühle der nächtlichen Stadt genießen. Kölns Kioskkultur macht ein Leben nach Ladenschluss und vor Szenepartybeginn möglich. Diese kleinen Büdchen, in denen kein Regalboden zum anderen passt, der Boden aus ausgerolltem Plastik besteht und du alles von Murat, Manni oder Kläuschen bekommst, um die nächsten paar Stunden zu überleben, das liebe ich an Köln. Jeder waschechte Großstädter in der Domstadt hat »seinen« Kiosk und »seinen« Murat. Mein Murat heißt Wolle, ist so hoch wie breit und sieht mich immer derart liebevoll unter seinen zusammengewachsenen Augenbrauen an, dass ich mir fast sicher bin, ihm eines Tages zwischen Flaschenbier, Feuerzeugen und einer gigantischen Auswahl an Schokoriegeln meine Lebensgeschichte zu erzählen.
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