Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
die Figur genau so, wie Mann sie haben will – an den richtigen Stellen rund, an anderen wiederum flach wie der Meeresspiegel – der Gang stark und elfenhaft zugleich – wie sie das macht, ist mir das größte Rätsel –, und ihr Blick sagt wie immer: »Ich bin die cleverste Frau hier im Raum, im Gebäude, vielleicht in der ganzen Stadt, und wenn du taff genug bist, gebe ich dir etwas davon ab!«
Christinas Erscheinen nimmt mir kurz die Luft, wühlt mich mehr auf, als ich erwartet hätte, bringt mich fast zum Schwanken. Moritz hingegen scheint den Anblick meiner ehemals besten Freundin mehr und mehr zu genießen.
»Wow«, sagt er leise, während sein Blick fest auf der herannahenden Christina haftet.
»Du findest sie scharf?«, flüstere ich ihm leise zu. »Das ist meine ehemals beste Freundin, die mich mit meinem Freund betrogen hat. Vor ein paar Wochen haben die beiden geheiratet.«
Moritz dreht seinen Kopf zu mir. Er kneift die Augen leicht zusammen und hebt sacht einen Arm, schreckt vor einer Berührung jedoch im letzten Moment zurück. »Okay«, sagt er stattdessen leise, »ich verstehe, aber da halte ich mich raus. Fehler machen wir alle.« Zeitgleich erreicht Christina uns.
»Anna? Ich freue mich so, dich zu sehen. Vielen Dank für die Einladung zum Interview. Und toll, dass du jetzt bei diesem Männermagazin arbeitest.«
Ich antworte nicht. Aus Unfähigkeit. Weil ich einfach nicht antworten kann. Was hatte Moritz gerade gesagt? Fehler machen wir alle? Ich betrachte ihn etwas schief, während er wohl darauf wartet, dass ich die beiden bekannt mache.
»Hallo, Frau Steiner«, wende ich mich schließlich Christina zu. Und auch Moritz schenkt ihr einen flüchtigen Blick.
»Tag! Ich bin Moritz. Fotograf. Werde schon mal ans Set gehen!«
*
Ein paar Atemzüge später halte ich mich an meinem Pappbecher mit Kaffee fest, als würde das irgendetwas bringen, während Christina, für meinen Geschmack viel zu atemberaubend, auf dem Sofa in dem Fotostudio des Verlags sitzt und Moritz sie durch das Objektiv beobachtet.
Frederik und ich, das ist Vergangenheit. Christina und ich, das ist ebenfalls Vergangenheit. Astrid und Sebastian, das ist allem Anschein nach auch Vergangenheit. Und bei Lena und Thomas wird es höchstwahrscheinlich auch nicht mehr lange dauern.Die Dinge haben keinen Bestand, geht es mir durch den Kopf. Zu mir selbst hatte ich noch nie sonderlich viel Vertrauen, aber jetzt kann ich mich noch nicht einmal mehr auf die Beziehungen meiner Freundinnen verlassen. Nachdem Astrid mir die SMS von der Absage der Hochzeit geschickt hatte, war ich einmal quer durch die Stadt zu ihr geradelt in der schlimmsten Befürchtung, dass ich eine völlig zerstörte Frau am Boden vorfand, die tränenerstickt von den Ereignissen der letzten Stunde berichtet, während sie billigen Rotwein aus der Flasche in sich hineinkippt und irgendwo am Küchenboden kauernd feststellt, dass das Leben unendlich sinnlos ist. Stattdessen traf ich auf eine Frau, die ein Tässchen Tee trank, die Lücken, die Sebastian durch die hektische Mitnahme seiner Sachen hinterließ, durch das Verschieben einiger Gegenstände wieder schloss und tiefenentspannt war. Wir sind bis morgens um vier tanzen gegangen, bis Astrid sich überglücklich auf den Spitzen meiner Pumps ergab und meinte, Freiheit wäre ein unendlich tolles Gefühl.
Ich selbst bin mir da nicht mehr so sicher. Ich will nicht mehr frei sein. Meine Augen wandern zu Moritz. Ich will sein sein. Allein diese Tatsache sollte mich aus dem Studio am besten bis ans andere Ende der Stadt rennen lassen, während meine Füße fest und unbeweglich auf einem Fleck verharren.
»So. Hab jetzt alles eingestellt. Soll ich zuerst shooten, oder willst du Frau Meischenberger interviewen?« Moritz’ Stimme ist Musik in meinen Ohren. In mir breitet sich zwischen Herz und Bauch das Gefühl aus, als hätte ich gerade die Dose mit den konservierten letzten dreißig Weihnachtsfesten geöffnet.
Ich versuche, meinen wahrscheinlich gerade etwas glücksduseligen Gesichtsausdruck bei dem Gedanken daran zu unterdrücken und mich auf Moritz’ Worte zu konzentrieren. Was hatte er gesagt?
»Steiner. Ich heiße jetzt Steiner!«, erklärt Christina und schlägt die Beine übereinander.
Ich verdrehe die Augen.
»Mir ist egal, womit wir anfangen«, antworte ich kurz und sehne mich nach einem Becher Kaffee, hinter dem ich mich verstecken kann. Andererseits bringt man unangenehme Sachen ja am besten so schnell wie
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