Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
Fenstern des MeMa -Gebäudes. Schließlich streift er sich den Motorradhelm über und schwingt sein linkes Bein über den Sitz.
»Komm nachher bei mir im Atelier vorbei.« Seine Finger umgreifen den Lenker. Der Motor heult auf, und die Maschine braust davon. Zwischen dem Kies wirbelt der Staub auf, während Moritz das MeMa -Gelände verlässt, auf die Straße abbiegt und vom Verkehr geschluckt wird. Ich stehe wie angewurzelt da, schaue den Staubwolken nach und sage: »Nachher habe ich keine Zeit. Da bin ich mit meinen Freundinnen verabredet.«
17.
Mindestens nie mehr
D as Hirschgeweih über der Gästetoilette ist tatsächlich verschwunden. Genauso wie Sebastian. Seit Tagen keine Spur von den beiden. Wie dramatisch die Situation ist, lässt sich leicht daran bemessen, dass Steuer-geht-immer-Sebastian seit der Hochzeitsabsage laut seiner Chefin keine einzige Steuererklärung mehr bearbeitet hat. So viel zu Lebensmottos. Ich habe davon ja noch nie viel gehalten. Als ob sich so etwas Komplexes wie das Leben mit so etwas Einfachem wie zwei, drei nett aneinandergereihten Worten bezwingen lässt. Das Motto meiner Oma – »Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste« – ist beispielsweise für einen Angstpatienten genauso ungeeignet wie » no risk, no fun « für einen 3,0-Promille-Kandidaten auf der Heimreise, während er das Lenkrad locker mit dem Handballen dreht. Und auch die Kölner Frohnatur kann mit ihrer Grundannahme »Et hätt noch immer jot jejange!« all den grausamen Schicksalsschlägen und Unglücken dieser Welt eher unzureichend die Stirn bieten. Denn gäbe es jene Schicksalsschläge und unsagbares Unglück nicht auf der Welt, wäre wohl auch dieser flotte Spruch irgendwie überflüssig! In diesem Zusammenhang stelle ich mir die Frage: Sind Pessimisten eigentlich glücklicher als Optimisten, da es für sie ja viel öfter besser kommt als erwartet? Der Pessimist kann sich deswegen auch statistisch gesehen viel häufiger über den überraschend positiven Ausgang einer Sache freuen, während es für den Optimisten keine so große Erkenntnis ist, dass tatsächlich heute wieder die Sonne scheint. Am klügstenerscheint es mir dennoch irgendwie immer noch, als Realist durchs Leben zu gehen. Bedeutet jedoch die realistische Einschätzung dessen, dass Moritz Berufliches und Privates strikt trennt, dass ich in der Redaktion immer so tun muss, als wisse Moritz nicht, wie ich nackt aussehe?
Hmm.
Mein Vater sagte immer: »Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist!« Und schon stecke ich wieder fest im Strudel zwischen halbvollen, halbleeren und bis zur Mitte befüllten Gläsern.
Astrids Glas ist aktuell allem Anschein nach halbvoll. Die fünf gemeinsamen Jahre mit Sebastian, die in einer dramatischen Trennung gipfelten (wie mir eine zertrümmerte Vitrinentür und Astrids von Rotwein gezeichneten Klamotten über dem Wäscheständer erzählen), scheinen abgeschlossen. Meine Freundin sitzt strahlend auf dem Sofa, gießt Lena und mir Champagner ein und meint: »Diese Glastüren im Schrank fand ich eh scheußlich. Und jetzt habe ich einen guten Grund, mich umfänglich mit neuen Klamotten einzudecken. Ein ganz neuer Anfang. Herrlich! Mädels, jetzt wird geshoppt!«
Die Gläser klingen in unserer Mitte.
»Keine Tränen?«, fragt Lena etwas skeptisch.
»Keine Tränen. Im Gegenteil. Ich bin unendlich erleichtert, nicht mehr heiraten zu müssen.«
»Was für eine beneidenswerte Einstellung. Wenn ich noch einmal neu entscheiden könnte, ich würde Thomas auch nicht noch mal heiraten. Dass wir Zora haben, ist wunderbar und das Beste, was wir beide hinbekommen haben. Aber Kinder bekommen kann man ja auch ohne Trauschein. Das erste Jahr war vielleicht noch aufregend, aber seit Thomas und ich zusammenarbeiten, was wirklich der Todesstoß für jede gute Ehe ist … ichmeine, jede Nacht das Bett mit demselben Menschen zu teilen, ist ja schon hart genug … Wie dem auch sei, seitdem streiten Thomas und ich nur noch. Sicherlich, ich nörgle viel an ihm herum, aber er ist auch irgendwie so schlampig, macht die Abrechnungen nicht immer korrekt und ist unendlich lahm. Von Leidenschaft will ich erst gar nicht reden. Weder für die Arbeit noch für mich.« Lena kippt den restlichen Champagner herunter und gestikuliert weiter mit dem geleerten Glas vor unseren Nasen herum. »Da ist es doch kein Wunder, dass man sich einen Geliebten nimmt.«
»Ist das jetzt eine feste Größe?« Ich trinke ebenfalls, jedoch weit weniger hektisch
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